Aus dem Leben von Glenda und Kelvin – Einblicke in das Stipendienprogramm 2018
Autorin: Malin Frey
Seit 2014 bin ich mehrmals jährlich bei Consciente El Salvador zu Besuch und noch bringt jeder Aufenthalt neue, prägende Erlebnisse mit sich. Im Juli dieses Jahres war ich wieder einen ganzen Monat in Morazán, um das Team vor Ort zu unterstützen und mir für die Schweizer Vereinsarbeit persönlich ein Bild von den laufenden Projekten zu machen. Unter anderem hatte ich die Möglichkeit, einer Generalversammlung unserer Stipendiatinnen und Stipendiaten beizuwohnen. Ich nutzte die Gelegenheit, persönlich mit ihnen zu sprechen. Es ist immer wunderbar, alte Gesichter wieder zu sehen – da dies bedeutet, dass sie dank unserer Patinnen und Paten erfolgreich studieren – und neue Gesichter zu entdecken – ein klares Zeugnis dafür, dass das Stipendienprogramm weiter gewachsen ist.
An diesem Anlass durfte ich auch Glenda kennenlernen. Sie lebt keine zwanzig Minuten vom Zentrum Goteras entfernt und doch in einer völlig anderen Welt. Die ärmliche Hütte aus Wellblech und Fundholz liegt gedrängt zwischen einer befahrenen Durchgangsstrasse und einem schmutzigen Rinnsal von Fluss in einem kleinen Aussenweiler hinter der Departements-Hauptstadt. Überall im und ums Haus liegen Verpackungen und Plastikflaschen, die zum vielseitigen Wiedergebrauch gesammelt werden. Alle Gegenstände werden hier so lange verwendet und ihrer ursprünglichen Funktion entfremdet, bis sie endgültig nicht mehr zu gebrauchen sind. Im Haus gibt es weder fliessendes Wasser noch Elektrizität; gekocht wird auf einem selbst gebauten Ofen unter einem Vordach, auf dem ein lustiges kleines Feuer tanzt. Glenda lebt dort zusammen mit ihrer kleinen Schwester, ihrer Mutter und ihrer Grossmutter. Ihr Vater, so erzählt die 18-jährige, habe ihre Mutter und die Familie verlassen. Dieses Schicksal teilt Glenda mit unzähligen anderen jungen Menschen im Departement. Die vier Frauen leben ohne geregeltes Einkommen und kommen mehr schlecht als recht über die Runden. So war nach der Schule klar, dass Glenda ohne externe Hilfe keine weiterführende Ausbildung würde machen können. «Es ist mein grosser Traum, ein Studium im Fach Medien und Kommunikation zu absolvieren», erklärt sie. «Erst dank der Hilfe von Consciente und der Unterstützung durch meinen Paten aus der Schweiz konnte ich meinem Traum ein Stück näherkommen und dieses Jahr ein Studium antreten.»
Als ältere Schwester eines mehr als zehn Jahre jüngeren Mädchens kennt Glenda den Umgang mit Kindern sehr gut. Wie viele junge salvadorianische Frauen in ihrem Alter kümmert sie sich mit ihrer Mutter und ihrer Grossmutter gemeinsam um die Erziehung und Aufsicht ihrer kleinen Schwester. Deshalb hat sie sich entschieden, auch während der Sozialstunden, die sie im Rahmen ihres Consciente-Stipendiums leistet, mit Kindern zu arbeiten. Während 180 Stunden im Jahr bietet sie in ihrer Freizeit Bastelstunden für Mädchen und Jungen in ihrer Gemeinde an. «Wir arbeiten mit Recyclingmaterialien, zum Beispiel mit leeren Plastikflaschen», erzählt Glenda stolz. Diese in jedem Haushalt massenhaft anfallenden Abfallmaterialien verwandelt Glenda mit den Kindern in nützliche oder hübsche Alltagsgegenstände und verleiht ihnen so ein zweites Leben. «Es gefällt mir sehr, mit den Kindern Zeit zu verbringen – das ist eine schöne Erfahrung.»
Auf die Frage, was sie sich für ihre Zukunft wünscht, sagt sie bescheiden: «Ich möchte mein Studium erfolgreich abschliessen, um eines Tages einer würdigen Arbeit nachgehen zu können. Und ich hoffe, dabei eine gebildete Person mit Prinzipien und Werten zu werden.»
Wie Glenda ist auch Kelvin seit Anfang dieses Jahres neu im Stipendienprogramm von Consciente und kann endlich seiner Leidenschaft für Physik im Rahmen eines Studiums nachgehen. «Mir gefällt alles, was mit der Umwelt zu tun hat! Ich möchte verstehen, wie unsere Welt beschaffen ist und wie alles funktioniert», erklärt er begeistert seine Studienwahl. «Ausserdem haben mir die Schulfächer Mathematik und Umwelt schon immer gefallen.»
Kelvin lebt im Gegensatz zu Glenda sehr weit von Gotera entfernt. Um ihn zu besuchen, muss man viel Zeit und gutes Schuhwerk mitbringen. Eine Strasse, die zum Haus führt, gibt es nicht. Nach einer mühseligen Fahrt muss das Auto geparkt werden, denn weiter geht es nur zu Fuss – auf Trampelpfaden, durch Weiden und über einen kleinen Fluss. Nach einem langen Fussmarsch kommt das Haus von Kelvins Familie in Sicht. Es ist wie viele bescheidene Behausungen in ländlichen Gegenden aus Lehm und Holz gebaut und hat ein Ziegeldach. Dort wohnt Kelvin mit seinen Eltern, seinen zwei Brüdern und einem Onkel. Vor dem Haus ist der Wassertank, wo auch gewaschen und gespült wird. Im Inneren des Hauses sorgen ein paar Tücher, die von gespannten Seilen hängen, für etwas Privatsphäre für die vielen Familienmitglieder. Kelvin zeigt stolz auf seinen Arbeitsplatz: Unter den Schulabschlussfotos von einigen Familienmitgliedern und ihren Diplomen hat er sich einen Tisch eingerichtet, den er für sich und seine Hausarbeiten von der Uni benutzen kann. Darüber sorgt eine Lücke im Dach für mehr Licht. «Meine Eltern haben immer alles für mich getan», bemerkt Kelvin ernst, «und ich möchte später als Berufstätiger meiner Familie helfen können und der Gesellschaft etwas zurückgeben.» Auch ein unverkennbarer Wissensdurst dringt im Gespräch mit Kelvin immer wieder durch. «Ich möchte meinen Bachelor beenden und danach gerne einen Master absolvieren – und, wenn möglich, doktorieren. Ich möchte mich im Bereich der Radiologie und Meteorologie spezialisieren und später hoffentlich einmal mein Wissen als Dozent weitergeben.»
Nicht weit vom Haus entfernt liegt Kelvins Projekt für die Sozialstunden: eine kleine Baumschule. «Ich pflanze Bäume, um die extreme Entwaldung in unserem Land zu bekämpfen. Ich weiss, dass ich nicht im grossen Rahmen etwas verändern kann, aber ich will wenigstens tun, was in meiner Macht steht.» Sein Gespür für die Natur und ein Händchen für Pflanzen mag Kelvin von seinen Eltern mitbekommen haben. «Wir sind eine Familie von Landarbeitern», sagt er. Doch gibt das Stückchen eigenes Land, welches sie zusammen bewirtschaften, gerade mal genug her für den eigenen Gebrauch. Einkommen gibt es in der Familie kaum, und so hat Kelvin beschlossen, sich für ein Consciente-Stipendium zu bewerben. Als Stipendiat von Consciente nimmt er auch am hauseigenen Programm für Nachhaltigkeitsbildung teil. «Ich habe viele schöne Erlebnisse gehabt mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten. Ich kann nun zum Beispiel viel besser in Gruppen arbeiten und habe viel Neues gelernt. Vor allem aber habe ich tolle neue Freundschaften geschlossen.»
Weder Glenda noch Kelvin möchten sich ihre gute Ausbildung später zu Kopf steigen lassen, sondern sich selbst treu und der eigenen Gemeinde und Familie erhalten bleiben. «Ich möchte mir auch in Zukunft meine bescheidene Art erhalten; mich mit meinen Freunden treffen, an den Fluss gehen, Fussball spielen, wie in meiner Kindheit. Zwar hoffe ich, mich weiter zu entwickeln, doch ohne meine Wurzeln zu vergessen.»
Wie so oft hat mich die Begegnung mit den jungen Menschen des Stipendienprogramms sehr beeindruckt. Unsere Stipendiatinnen und Stipendiaten haben ausnahmslos mit vielen Entbehrungen zu kämpfen und schaffen es dennoch, sich mit voller Kraft ihrem Studium und ihrer sozialen Verantwortung zu widmen. Ihre persönlichen Geschichten sind es, die mich stets motivieren und mir immer wieder vor Augen führen, warum wir uns bei Consciente engagieren. Wir wünschen ihnen allen viel Erfolg und sind stolz, sie auf einem Teil ihres Weges begleiten und unterstützen zu können.