Autor: Sebastiano Santoro (aus Italien), SCI Freiwilliger bei Consciente El Salvador
Übersetzt von: Sales Hollinger
Bevor ich mein LTV (Long Term Volunteering) antrat, drehte sich ein Strudel voller Ideen und Motivationen in meinem Kopf, auf die ich stets mit derselben grundsätzlichen Frage reagierte: „Was drängt mich eigentlich zum Gehen?“ Und stets hörte ich mich, ätzend und eintönig wie ein Anrufbeantworter, die folgenden Gründe zitieren: weil die internationale Zusammenarbeit das Thema meiner Bachelorarbeit war und ich mein Wissen in diesem Bereich unbedingt mit einer Live-Erfahrung vertiefen wollte.
Das Abfahrtsdatum rückte näher, und in diesem verwirrenden Strudel von Ideen begann ich langsam, ein schärferes Bild zu sehen, eine klare Form, die über die übliche Leier hinausging. Schliesslich halfen mir die zwei Ausbildungstage mit dem SCI (Service Civil International) in Rom, das Wirrwarr aufzulösen: Mit anderen Jugendlichen aus ganz Italien zusammenzukommen, die wie ich ins Ausland gehen wollten, ihre Ängste und Erwartungen zu hören und die Geschichten derjenigen, die soeben aus einem Workcamp (einer möglichen Form der Freiwilligenarbeit beim SCI) zurückgekehrt waren – all dies schaffte mir Klarheit darüber, was ich tun wollte.
Sich freiwillig zu engagieren, jenseits aller praktischen Gründe, ist eine sehr intime Entscheidung. Sie rührt aus einer Unverträglichkeit mit dem Hier und Jetzt, aus dem Wunsch, in einen anderen Winkel der Welt zu fliehen, auf der Suche nach einem Ort, an dem alles ein wenig mehr Sinn zu ergeben scheint.
Wir sind alle vor etwas geflohen. Es gab einen, der die Kontinente bereiste und sich verirrte und nun die Erfahrung machen wollte, im Dienste anderer zu stehen; einen – schon etwas älter, mit einem Job bei der Bank und Familie –, der beschloss, die Sorgen des Alltags abzuschütteln und zu gehen; einen, der noch zu jung und unsicher war; einen, der einer beendeten Liebe entfloh, und einen anderen, der der Trägheit seines kleinen Provinzdorfes entkommen wollte. Allesamt gingen sie mit der Sehnsucht nach Veränderung, nach Leben und Bewegung.
Was mich betrifft, so habe ich verstanden, dass bei dieser Entscheidung auch scheinbar zusammenhangslose und kaum denkbare Motivationen mitspielten – vor allem die zwei folgenden:
Zum einen waren da die Worte eines alten Lehrers aus den letzten Jahren meiner Zeit in der Sekundarschule. Er war einer jener Lehrer, die sich kaum beherrschen konnten, wenn sie mal wütend waren, die dann aber in der mündlichen Prüfung die Nationalität von Maradona, dem Fussballer, abfragen, wenn sie merken, dass du in Schwierigkeiten bist. In seinen Augen war ich ein unantastbarer Schüler, fleissig und unfehlbar – auch wenn oftmals falsch lag. Eines Tages vertraute er mir an, dass er nach seiner Pension etwas Geld sammeln und per Schiff nach Mittelamerika auswandern wolle, nach Guatemala, Honduras oder El Salvador. Dort wolle er sich ein kleines Haus am Meer kaufen, täglich angeln gehen und den Ruhestand in der Hitze der Tropen geniessen. Er erzählte witzige Anekdoten über die Menschen an diesen Orten, die ihm von früheren Reisen bekannt waren – darüber, wie „gutmütig, authentisch und solidarisch“ sie seien – und zeichnete ein magisches und faszinierendes Bild der Sprache dieser Länder und der Menschen, die dort lebten. Während meiner ganzen Jugend spürte ich den Zauber seiner Worte und Geschichten.
Zum anderen war da das Bild einer Pflanze: der „Bougainvillea“. Als Kind wuchs sie gross und üppig in einem Haus am Meer, wo ich jeden Sommer mit meiner Familie hinfuhr. Ich liebte diese Pflanze mit ihren leuchtend violetten Blüten, die, so erinnere ich mich, einen weichen Teppich bildeten, sobald sie zu Boden fielen. Ich liebte es, zwischen diesen Blütenblättern zu wandeln – bis meine Mutter ankam, stets auf Ordnung und Sauberkeit bedacht, und sie wegwischte. Eines Tages, vor vielen Jahren, wurde sie entfernt, um Platz für einen Ficus zu schaffen – und alles, was von ihr übrigblieb, war eine Erinnerung. Irgendwann habe ich herausgefunden, dass die Bougainvillea in Lateinamerika heimisch ist; von dort aus wurde sie hier in Europa von einem französischen Botaniker angesiedelt. Nach Lateinamerika zu gehen, die leuchtenden Farben der Bougainvillea wieder sehen zu können, ihren Duft zu riechen und auf den zu Boden gefallenen Blütenblättern zu gehen – das schien mir wie die Erfüllung verborgener Wünsche, die ich seit langem hegte. Mir gefiel der Gedanke – die Illusion – dass dieses Wiedersehen die zeitliche Distanz zwischen dem Kind, das ich war, und dem Mann, der ich jetzt bin, aufheben könnte.
Ich hatte somit verschiedene Beweggründe, teilweise sehr intime, und ich schämte mich beinahe, sie meinen Kolleg*innen zu gestehen. Jedenfalls sah ich nach dem Training mit dem SCI die Ideen ein wenig klarer und war überzeugt, dass ich einen Einsatz machen wollte. Wo? In Lateinamerika! Ich hatte keine Präferenzen bei der Wahl des Landes, aber ich bevorzugte Mittelamerika. Bei der Analyse der Vorschläge des SCI entschied ich mich schliesslich für ein Projekt in El Salvador, und zwar in San Francisco Gotera, der Hauptstadt Morazáns – eines der ärmsten Departemente des Landes und Schauplatz der Zusammenstösse zwischen der Guerilla und der staatlichen Armee im jüngsten Bürgerkrieg der 80er Jahre.
Bevor ich ging, war „El Salvador“ ein verwirrender Name für mich, und ich wusste auch nicht, wie ich ihn aussprechen sollte: Soll ich den Schwerpunkt auf die vorletzte Silbe oder auf die letzte Silbe legen? Es war ein Name, den ich im Grunde genommen mit drei Dingen verband: El Salvador wird von kriminellen Banden heimgesucht und hat daher eine der höchsten Mordraten der Welt; El Salvador ist eines der Ursprungsländer der Bougainvillea (die dort zu Ehren der Jahreszeit, in der sie blüht, „Veranera“ genannt wird); schliesslich wusste ich von meinem Lehrer, dass die Leute in El Salvador „gutmütig, authentisch und solidarisch“ sind.
Abgesehen von diesen eher widersprüchlichen Informationen wusste ich nichts über El Salvador. Die Kommentare zu Hause bezüglich der erstgenannten Tatsache könnt ihr euch wohl vorstellen. Doch der Wunsch zu gehen war stark und wurde auch von einem hartnäckigen Willen getrieben, tiefer in die Materie einzutauchen – ist El Salvador nur Gewalt und Kriminalität? Ich wollte die Dinge mit eigenen Augen beurteilen, statt blind den Statistiken zu vertrauen, die in den Zeitungen und im Internet zirkulierten. Jetzt, nach fünf Monaten Freiwilligenarbeit zurück in Italien, fühle ich mich „schwerer“ – und es ist nicht nur die Waage, die mir dies bestätigt. Ich habe verstanden, wie tiefgründig und voller angenehmer Überraschungen die Realität eines so kleinen Landes sein kann (die gesamte Fläche von El Salvador erreicht nicht einmal die Grösse der italienischen Region Emilia Romagna). Gleichzeitig ist das Land so komplex und zeigt tausend Gesichter, von denen nur das Negative die Aufmerksamkeit im Ausland erregt. El Salvador ist ein Land, dessen Widersprüche ich kennen und schätzen gelernt habe, da „alles möglich ist in einem Land wie diesem, das unter anderem den lächerlichsten Namen der Welt hat – jeder würde sagen, dass es ein Krankenhaus oder ein Schlepper ist“ (Zitat: Roque Dalton, salvadorianischer Dichter). El Salvador ist reich an Geschichte, Kultur und einer Menschlichkeit, die mich buchstäblich angenommen hat.
Ich habe Hand angelegt bei der Umsetzung einiger wesentlicher Ziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung. Nach vielen Jahren an der Universität und unzähligen Stunden der Theorie habe ich hier einen Weg gefunden, aus den Büchern herauszukommen und einigen dieser Ziele ein konkretes Gesicht und eine persönliche Geschichte zu geben.
Wenn ich zum Beispiel an das erste Ziel denke, „der Armut in der ganzen Welt ein Ende zu setzen“, dann erinnere ich mich an die grauen Wände der Häuser in den Armenvierteln von Guatajiagua, Cacaopera oder Gotera. Ich habe in den Häusern von Menschen geschlafen, die so gut sind wie Brot (für El Salvador wäre der Vergleich mit Tortillas besser), authentisch und rein wie Wasser, aber gezwungen, in Slums mit zerbrechlichen Dächern aus Ziegeln oder Eisenplatten zu leben. Unter prekären hygienischen Bedingungen und ohne grundlegende sanitäre Infrastruktur wohnen Grossfamilien zusammengedrängt auf wenigen Quadratmetern. Der materiellen Not steht ihre immense Gastfreundschaft gegenüber – eine uralte Tugend, die dort zu finden ist, wo es Demut gibt und die Neugierde, dem Fremden zu begegnen. Eine solche Gastfreundschaft liess mich die Ferne meiner Heimat vergessen. Sie bestand aus kleinen Dingen: aus gemeinsamem Essen und gemeinsamen Bemühungen, den schwarzen Schlamm zu gewinnen (für die für Guatajiagua typische handwerkliche Produktion von Keramik) oder das Wasser aus dem Brunnen zu holen; aus einem einfachen Lächeln, wenn man morgens aufwacht; aus brüderlichen Umarmungen und kostbaren Geschenken, wenn man sich verabschieden muss – kleine Gesten, die die Wände deines Herzens allmählich erweitern. Ich war immer der Ansicht, dass ein Haus, in dem Menschen wohnen, nicht nur ein Agglomerat aus Zement, Wasser und Ziegeln ist, sondern stets noch mehr: eine Art zu sein, ein Gefühl der Geborgenheit, eine Form der Liebe.
Ziel 4 der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, „qualitativ hochwertige Bildung“, hat das Gesicht jedes Mitglieds des Teams von „Consciente“ – der NGO, bei der ich während fünf Monaten im Einsatz war – sowie der unzähligen Menschen, die sie unterstützen. Bildung ist ein wichtiger Treiber der Entwicklung eines Landes, und Consciente hat einen ehrgeizigen Traum: eine partizipativere, kritischere und kreativere Bildung für Morazán zu ermöglichen – ein Departement, in dem das Bildungsniveau niedrig ist und auch junge Menschen aus wirtschaftlichen Gründen die Schule ohne Abschluss verlassen müssen. Zu diesem Zweck hat die Organisation zusammen mit einem Schweizer Team eine Reihe von Projekten entwickelt, die sich auf die Vergabe von Stipendien, die Innovativen des Mathematikunterrichts und vieles mehr konzentrieren. Die Zahl der jungen Menschen, die von diesen Projekten profitieren, ist unendlich: Jede und jeder von ihnen hat eine schwierige persönliche Geschichte, aber auch den Traum, ein Studium abzuschliessen, um eine bessere Zukunft für sich, die Familie und das ganze Land zu ermöglichen, denn – wie mir einmal jemand aus dem Consciente-Team sagte – „Bildung verändert nicht die Welt, sondern die Menschen, die eines Tages die Welt verändern werden“. Aber Ziel Nummer 4 hat auch das Gesicht der Jungen und Mädchen, die an dem kleinen Italienisch-Sprachkurs teilgenommen haben, den ich persönlich im Hauptsitz der NGO entwickelt habe. Der Kurs ist zu einem Raum des Lernens, des Denkens und der Verbreitung von Ideen geworden, in dem wir nebenbei einige Grundregeln der Sprache gelernt haben. Wir haben italienische Lieder gesungen (zum Ärger der Nachbarn); wir schauten voller Emotionen den Film „Life is Beautiful“ – mein Blut erstarrte, als ich gefragt wurde, ob es wahr sei, dass im Italien jener Jahre die politische Rhetorik Menschen in Rassen unterteilte, wie es sonst mit Tieren geschieht – und wir kochten eine Carbonara nach römischer Art und bereiteten neapolitanischen Espresso zu.
Schliesslich hatte ich auch die Gelegenheit, mich persönlich von der Bedeutung des Ziels 5 zu überzeugen: „Gleichstellung der Geschlechter“ ist der unerfüllte Traum vieler Frauen, die physische und psychische Gewalt erlitten haben, die verbal belästigt oder vergewaltigt wurden oder denen das Recht auf ein Studium verweigert wurde – Frauen, die gegen ein System kämpfen, das ihre Flügel von früher Kindheit an zurückstutzt. Mit ihnen marschierte ich am 25. November, dem Welttag der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, um gleiche Rechte für Frauen einzufordern. Einen besonderen Platz in meinen Erinnerungen hat der Ausdruck im Gesicht einer Frau eingenommen, der sich zu einer Grimasse zusammenzog: Schmerz und Befreiung, dunkle Augen, gerötet und von Tränen geschwollen. Es war Imelda Cortez vor dem Gerichtssaal, kurz bevor sie schliesslich von der Anklage des versuchten Kindermordes freigesprochen wurde. Die Geschichte von Imelda, einem 21-jährigen Mädchen, ist zum Symbol des salvadorianischen Kampfes für die Rechte der Frau geworden. Von ihrem Stiefvater zehn Jahre lang sexuell missbraucht, wurde sie im Alter von siebzehn Jahren schwanger und beschloss, ihre Schwangerschaft fortzusetzen, ohne Schule und Beruf aufzugeben. Sie war im achten Monat schwanger, als eines Tages plötzlich die Schmerzen einsetzten – es folgte eine Frühgeburt auf dem schmutzigen Boden der Hütte, in der sie lebt: eine getrennte Nabelschnur, massiver Blutverlust und eine verrückte Fahrt ins Krankenhaus. Dort wurde die junge Frau auf wundersame Weise gerettet. Besorgt, in eine illegale Abtreibung verwickelt zu sein, rufen die Ärzte die Polizei – Abtreibung ist in El Salvador ein Verbrechen, das auf einer Stufe steht mit Totschlag. Der Gerichtsprozess beginnt. Imelda wird von ihrem Stiefvater bedroht, während sie im Krankenhaus liegt, und verbringt schliesslich 18 Monate in Untersuchungshaft in einem der schlimmsten Gefängnisse des Landes. Aber der Alptraum ist vorbei: Mitte Dezember wurde sie dank der Proteste lokaler NGOs (einschliesslich Consciente) und der UN-Menschenrechtskommission freigesprochen. Ihr verzerrtes Gesicht, das im lokalen Fernsehen, aber auch in Artikeln internationaler Zeitungen zu sehen war, sowie ihre ganze Geschichte stellen die grösste Lektion in Feminismus dar, die ich je erhalten habe.
Kurz gesagt: Die Schönheit der Freiwilligenarbeit besteht in den vielen Erinnerungen, die man mitnimmt. Täglich wächst ihre Zahl, und als ich im Flugzeug sass, spürte ich zum ersten Mal das Gewicht der Ereignisse und Erfahrungen, die ich nicht leicht würde verarbeiten können. Ich war bewegt und meine Seele war besonders fiebrig und sensibel, so dass jede kleine emotionale Schwingung zu einem aufwühlenden Gefühl zu werden drohte, das durch meinen ganzen Körper hallte und bis in die Knochen drang.
Und es spielt keine Rolle, dass ich die Landessprache nicht perfekt sprach, oder dass die meisten Menschen mit der italienischen Kultur bloss Pizza, die Mafia und Juventus Turin assoziierten. Denn es gibt noch etwas anderes, und in diesen fünf Monaten habe ich es erfahren: etwas gemeinsames, das nicht erklärbar ist, sondern nur „erfühlt“ werden kann.
Seit Tagen summe ich mit Freunden den Refrain eines Liedes, dessen Text lautet: „Ich bin nicht von hier, aber du bist auch nicht von hier – von nirgendwo und doch von überall ein bisschen.“ Ich habe brüderliche Beziehungen zu einer unendlichen Anzahl von verschiedenen Menschen geknüpft; ich habe Ideen und Gedanken über die Welt geteilt; ich habe bei chilenischem Wein über Politik diskutiert; ich habe einem neugierigen Gemüsehändler die Geschichte von Romulus und Remus erzählt; ich habe einen ehemaligen CIA-Agenten getroffen, der mir von den Gräueltaten erzählte, die während des Krieges vom Militär begangen wurden; ich hörte intime Geheimnisse, so intim, dass sie aufrichtige Tränen hervorriefen; ich las zum ersten Mal Bibelverse mit einer grossartigen Familie von Evangelisten; ich hörte den asthmatischen Klang einer Gitarre ohne Saiten, im Kreis sitzend, in religiöser Stille und unter einem Himmel voller Sterne; ich nahm Lektionen bei einem weisen Kakawira, der in einem kleinen indigenen Dorf im Norden von Morazán wohnte; ich ass am gleichen Tisch und teilte das gute Essen; ich schlief im selben Bett oder derselben Hängematte; ich sah beeindruckende Sonnenaufgänge und bewegende Sonnenuntergänge; ich las den Schmerz in den Falten der Gesichter der Bewohnerinnen und Bewohner von El Mozote, als sie des Bürgerkriegsmassakers gedachten, das vor 27 Jahren die gesamte Bevölkerung des kleinen Dorfes vernichtete und dessen Opferzahl, die meisten davon Kinder, noch immer unbekannt ist; ich lief um Mitternacht des 31. Dezembers im Zickzack um die Gläser, die die Leute zur Feier des neuen Jahres auf die Strasse stellten, und bewunderte die Häuser im Zentrum von Gotera, die durch das farbenprächtige Feuerwerk beleuchtet wurden; ich reiste 18 Stunden lang im Auto, um ein Paket aus Italien zu empfangen, das ich zwar aus bürokratischen Gründen nie erhalten habe, das es mir jedoch erlaubte, eine neue Freundschaft zu schliessen; ich feierte meinen Geburtstag am Strand von Los Cobanos, baute Sandburgen und hörte dem Meer zu, dessen Gezeiten nachts wogen; ich besuchte eine Höhle mit Wandmalereien, die mehr als 10’000 Jahre alt war und „die Sixtinische Kapelle von Kakawira“ genannt wurde.
Ich tat dies und viele andere Dinge – ein ganzes Buch könnte ich damit füllen. Wohl war ich traurig, als ich nach Hause reiste – das gebe ich zu – aber stets wird die Freude überwiegen, dass ich das Glück hatte, solche Erfahrungen zu machen, die an mir haften geblieben sind – doch nicht wie Kleidung, die man einfach wechseln kann. El Salvador klebt an meiner Haut, mit unauslöschlicher Tinte, wie ein Tattoo.
Abschliessend noch drei Dinge: Mein Lehrer von damals konnte seinen Traum nicht verwirklichen – der Tod überraschte ihn ein Jahr nach seiner lang erwarteten Pensionierung. Doch ich kann es bezeugen, weil ich es am eigenen Leibe erfahren habe: Er hatte Recht, was die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Erdteils betrifft.
Und nein: Die Bougainvillea wieder zu riechen und ihr wildes Wachstum zu sehen, hat mich zwar ein wenig erleichtert, aber es hat die Distanz zwischen meinem jetzigen und meinem früheren Ich nicht aufgehoben. Ich spüre in mir drin die Jahre, die vergangen sind. Es war nur eine süsse Illusion.
Und schliesslich müsste ich noch die Frage beantworten, ob nun El Salvador nur Gewalt und Kriminalität sei – die Antwort kannst du dir denken.
Autor: Sebastiano Santoro (aus Italien), SCI Freiwilliger bei Consciente El Salvador
SCI Freiwilligen-Einsätze bei Consciente
Die Zusammenarbeit mit dem Service Civil International (SCI Schweiz) ermöglicht es uns, Langzeitfreiwillige aus der ganzen Welt in El Salvador zu empfangen. Unsere internationalen Freiwilligen arbeiten bei bestehenden Projekten mit oder setzen eigene Ideen um und unterstützen so das lokale Team. Hast du Lust, wie Sebastiano als Freiwillige nach El Salvador zu gehen? Mehr Informationen findest du hier:
Mitgliederversammlung 2020
/in Deutsch, News, Unterstützungsverein/von Livia JakobNeues Datum zum vormerken
Unsere Mitgliederversammlung wurde auf den 14. September verschoben. Sie wird je nach Situation im Käfigturm oder online stattfinden.
Weitere Infos folgen.
Doppelte Solidarität ,,trotz’’ Auf-der-Couch-sitzen?
/in Aktiv werden, Deutsch, News, Nothilfe, Spanisch/von Livia JakobAutorin: Eveline Tissot, Ärztin und Projektverantwortliche “Consciente médico”
Die Coronakrise beschäftigt auch uns von Consciente sehr. Während die meisten Vorstandsmitglieder auf Homeoffice umgestellt haben, wir unsere zweiwöchentlichen Meetings auf Skype abhalten und die Ärztinnen und Ärzte im Team täglich mit mehr und mehr Corona-Fällen konfrontiert werden, sind wir besorgt – besorgt um unsere Freundinnen und Freunde vom lokalen Team in El Salvador, deren Familien und alle anderen Menschen in El Salvador.
Klar läuft auch hier bei uns nicht alles rund bei der Bekämpfung dieser Krise. Wenn sich aber das Virus in El Salvador ausbreitet, gibt es kaum Möglichkeiten, vergleichbare personelle und technische Ressourcen hochzufahren wie in der Schweiz. Was wird mit all den Patientinnen und Patienten geschehen? Man möchte gar nicht daran denken.
Aktuell wurden in El Salvador sämtliche Schulen und Strassenmärkte geschlossen; die Leute sollen zu Hause bleiben. Solche Massnahmen sind gegen die Ausbreitung des Coronavirus sehr effektiv. Doch sie treffen besonders jene zahlreichen Menschen hart, die bereits am Existenzminimum gelebt und sich etwa durch den Verkauf von Gemüse an lokalen Märkten über Wasser gehalten haben. Viele Familien haben schon heute nicht mehr genug zu Essen und schon gar keine Seife, um sich die Hände gründlich zu waschen. Daher wurde vom lokalen Team in El Salvador ein Plan zur Soforthilfe erstellt: Möglichst “BAG-konform” sollen die Menschen in den am stärksten betroffenen Gemeinden mit Nahrungsmitteln, Seife und Informationen bezüglich zu treffender Hygienemassnahmen versorgt werden. Dadurch hilft das lokale Consciente-Team den Menschen, den öffentlichen Verkehr und die Lebensmittelläden zu meiden, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Wir hoffen sehr, damit im präventiven Bereich einen Beitrag gegen die Ausbreitung des Coronavirus in El Salvador leisten zu können, denn niemand möchte sich vorstellen, was passieren würde, wenn das mangelhafte Gesundheitssystem von Viruspatientinnen und -patienten überrannt würde!
Das kannst du tun:
Solidarität in der Schweiz
Du kannst uns dabei helfen, indem du deine Mitmenschen in der Schweiz weiterhin dazu anhältst, die vom BAG verabschiedeten Hygienemassnahmen einzuhalten. Denn auch wir haben einen Einfluss auf die weltweite Verbreitung des Coronavirus und können so mithelfen, benachteiligte Regionen dieser Welt vor der Pandemie zu schützen.
Solidarität mit El Salvador: Nothilfe-Kampagne
Um die schwächsten Menschen und Familien in Morazán mit Grundnahrungsmitteln und Hygieneprodukten zu versorgen, lanciert Consciente eine lokale Nothilfe-Kampagne. Unterstütze uns jetzt mit einer Spende und hilf so den freiwilligen Helferinnen und Helfern vor Ort, das Schlimmste zu verhindern!
Die Corona-Pandemie in El Salvador: Unser lokales Team berichtet
/in Deutsch, News, Nothilfe, Spanisch/von Livia JakobFür ein Land wie El Salvador stellt die Corona-Pandemie eine riesige Herausforderung dar. Mangelhafte medizinische Kapazitäten, schwache Institutionen und grassierende Armut machen es schwierig, die Menschen angemessen zu schützen. Sieben Personen aus unserem Koordinationsteam erzählen, wie sie die Situation vor Ort erleben und trotz allem weiterarbeiten – denn sie werden gebraucht.
Übersetzung: Lena Ackermann
Idalia Claros (Nachhaltigkeitsbildung)
Wegen COVID-19 befinden wir uns in El Salvador seit dem 14. März im Ausnahmezustand. Seit dem 22. März gibt es eine totale Ausgangssperre. Schwierig ist, dass unsere Bevölkerung nicht nur einem gesundheitlichen Risiko ausgesetzt ist, sondern auch zunehmender militärischer Kontrolle, da die verfassungsmässigen Grundrechte ausser Kraft gesetzt wurden. Am stärksten betroffen sind die Menschen, die gesellschaftlich und historisch am schlechtesten gestellt sind. Denn in Quarantäne zu leben ist ungleich schwieriger für eine Familie, deren Existenz nicht gesichert ist. Tausende von Familien lebten von einem Dollar am Tag – und haben jetzt gar kein Einkommen mehr.
In El Salvador ist diese Krise nicht nur eine gesundheitliche Herausforderung, sondern sie verschärft auch wirtschaftliche und soziale Probleme. Dazu gehören geschlechtsspezifische Gewalt, Machtmissbrauch der Polizei und der Armee, Lebensmittelknappheit, schlechte medizinische Behandlung und Überbelegung der Spitäler.
In diesem Kontext haben auch wir vom Consciente-Team Sicherheitsmassnahmen ergriffen und unsere Planung kurzfristig angepasst. So haben wir für den Moment alle Aktivitäten vor Ort und in Gruppen abgesagt, wovon insbesondere das Projekt für Nachhaltigkeitsbildung stark betroffen ist. Nun arbeiten wir online und nutzen unsere Zeit, um pädagogische und methodologische Leitfäden für unsere Workshops zu erarbeiten. Auf diese Weise wird die Arbeit des Programms weitergeführt und wir sind entschlossen, unsere Ziele zu erreichen und einen Beitrag zum sozialen Wandel in Morazán zu leisten.
Emely Montiel (Sekretariat)
Die Situation im Land ist ernst, denn leider hat El Salvador weder die nötigen Mittel noch die Werkzeuge, um diese Pandemie in den Griff zu bekommen. Viele Menschen leben in Armut, vor allem in den ländlichen Gebieten. Dort gibt es keine Krankenhäuser oder Apotheken, um Medikamente zu besorgen. Um Nahrungsmitteln zu besorgen, muss man eine Transportmöglichkeit finden oder Stunden zu Fuss geben. An solchen Orten leben viele Menschen, Erwachsene ebenso wie Kinder. Darum müssen wir die Ärmsten unterstützen, so gut wir können. Wir brauchen Lebensmittel, Medikamente und Wasser, damit diese Menschen ihren täglichen Gebrauch decken können.
Wir schicken herzliche Grüsse aus dem kleinen El Salvador. Wir bedanken uns für Ihre Hilfe und Unterstützung in dieser Situation, die uns alle auf der ganzen Welt betrifft.
Jonathan Sanchez (CAL-IMPACT, Mathematik)
Mein Name ist Jonathan Sanchez und ich arbeite im Projekt für Bildungsinnovation im Bereich der Mathematik. Nun arbeiten wir von zu Hause aus und setzen uns weiter mit grossem Enthusiasmus für eine bessere Bildung in Morazán ein. Die Bevölkerung befindet sich aufgrund der sozioökonomischen Bedingungen in El Salvador in einer sehr schwierigen Situation. Denn hier bedeutet zuhause zu bleiben für viele, dass sie ihr tägliches Einkommen verlieren. Viele Menschen leben von dem bisschen Geld, dass sie jeden Tag einnehmen; Gelegenheitsjobs gibt es kaum welche. Die Regierung ergreift zwar Massnahmen, die aber leider nicht der Mehrheit der Bevölkerung zugutekommen. Dies führt zu Chaos und Unstimmigkeit in der Gesellschaft: Viele Menschen liessen sich von ihren Impulsen mitreissen und sind auf die Strasse gegangen, um dafür zu protestieren, dass sie Hilfe erhalten. Dies wird sich bestimmt negativ auf die Anzahl der angesteckten Personen auswirken.
Gricelda Véliz (Programm für Nachhaltigkeitsbildung)
Ich heisse Gricelda Véliz und arbeite im Team für Nachhaltigkeitsbildung. Durch die Pandemie befindet sich El Salvador in einer alarmierenden Situation: Viele Menschen, die im informellen Sektor beschäftigt sind und nicht mehr arbeiten dürfen, haben nun keine Mittel mehr, um Essen zu kaufen. Menschen in extremer Armut leben oft von der Hand in den Mund. Sie sind es auch, die am stärksten von der Situation betroffen sind. Es sind oft ältere Menschen, die vom Strassenverkauf leben, oder alleinerziehende Mütter, die vier oder fünf Kinder ernähren müssen. Die Situation ist wirklich besorgniserregend.
Alonzo Solís (CAL-IMPACT, LehrerInnen-Weiterbildung)
Ich heisse Alonzo Solís und ich gehöre zum Team von Consciente El Salvador. Trotz der Pandemie, in der wir uns weltweit befinden, arbeiten wir weiter mit grossem Enthusiasmus – auch wenn wir das von zuhause aus tun müssen.
Wir können unsere Projekte vielleicht nicht so durchführen, wie wir sie geplant haben, aber wir arbeiten mit voller Kraft an jedem von ihnen. Im Moment entwickeln wir zum Beispiel Leitfäden und Videos zur Vermittlung mathematischer Inhalte. Ausserdem arbeiten wir an Workshops zur Förderung der psychischen Gesundheit von Schulkindern, die wir in unser CAL-IMPACT-Projekt einbauen wollen. Dafür kreieren wir Geschichten zu Themen wie Empathie, Selbstbewusstsein, Schmerz, positiver Disziplin oder Familie.
Die momentane Situation trifft viele Menschen sehr hart, sowohl ökonomisch als auch gesundheitlich. Sie haben nun kein Einkommen mehr, mit dem sie die Grundbedürfnisse ihrer Familien decken können. Dies ist leider unvermeidlich, da unsere Gesundheit oberste Priorität hat. Wir hoffen, dass die Situation sich bald verbessert und wir nach vorne schauen können.
Mirian Benítez (CAL-IMPACT, Pädagogik)
Am 21. März mussten wir alle das Büro von Consciente zu uns nach Hause verschieben. Das war kompliziert, denn der öffentliche Verkehr fuhr nicht mehr regelmässig und wir mussten zu Fuss gehen. Es war eine Woche voller Unsicherheiten und ich war traurig, dass unser Projekte nicht wie gewohnt weiter funktionieren würden. Das Zentrum unseres Projekts sind die Kinder und Jugendlichen, die Lehrerinnen und Lehrer – wie sollte das Projekt ohne sie weitergehen? Aber dann merkte ich, dass unsere Projekt nicht stillstehen müssen. Wir begannen, über interaktive Plattformen mit den Lehrpersonen zu arbeiten. Nun planen wir unsere Projekte von zuhause aus. Trotzdem gibt es viel Unsicherheit, da wir nicht wissen, wie lange die Schulen geschlossen bleiben. Es wird die beste Nachricht sein, wenn diese Krise vorbei ist und die Schulen wieder öffnen können.
Gilberto Ambrocio (Programm für Nachhaltigkeitsbildung)
Was unser Land und die Welt im Moment erleben, ist uns so noch nie passiert. In El Salvador stehen wir in vielen Bereichen vor einer grossen Krise. Es ist traurig, jeden Tag mit unzähligen schlechten Nachrichten zu beginnen, die vermitteln, in welcher Situation sich viele Familien überall in El Salvador befinden. Vielleicht bin ich zu jung; ich habe jedenfalls noch nie so etwas gesehen. Ich weiss, dass unser Land in seiner Geschichte viele schwierige Momente erlebt hat, von sozialen Problemen und Ungleichheit bis zu Invasionen und Kriegen. Immer wurde versucht, nach vorne zu schauen, denn wir sind es gewohnt, durchzuhalten. In solchen Situationen zeigen sich die ungerechten Bedingungen hier umso stärker, und viele arme Familien sind besorgt, weil sie kein Geld haben und nichts zu Essen. Trotzdem verlieren wir die Hoffnung nicht, dass wir das überstehen werden. Diese Krise wird uns alle etwas lehren – vor allem jene, die Entscheidungen über unser Land treffen: Wir wissen nun umso mehr, dass es unser Engagement braucht. Eine würdige Arbeit bedeutet, Menschen Sicherheit zu geben. Ich hoffe, wir haben bald gegen diese Krankheit gewonnen.
COVID-19: Nothilfe-Kampagne
Um die schwächsten Menschen und Familien in Morazán mit Grundnahrungsmitteln und Hygieneprodukten zu versorgen, lanciert Consciente eine lokale Nothilfe-Kampagne. Unterstütze uns jetzt mit einer Spende und hilf so den freiwilligen Helferinnen und Helfern vor Ort, das Schlimmste zu verhindern!
Erfahrungsbericht von Imelda, ehemalige Consciente-Stipendiatin
/in Deutsch, Stipendienprogramm/von Livia JakobAutorin: Imelda (20),
Übersetzung: Sales Hollinger
Mein Name ist Imelda Yamileth Cruz Granados. Ich bin derzeit 20 Jahre alt und lebe in der Gemeinde Corinto im Departement Morazán. Im Jahr 2016 habe ich in derselben Gemeinde meinen Gymerabschluss gemacht mit dem Traum, an die Universität studieren zu gehen und eine berufliche Laufbahn einzuschlagen.
Im Januar 2017 wurde ich auf einen Verein aufmerksam – Consciente – der junge Menschen durch die Bereitstellung von kostenlosem Wohnraum in einem sog. Studierendenwohnheim (casa estudiantil) unterstützt und ihnen so ein Studium an der Technischen Hochschule in Morazán ermöglicht. Ich stattete diesem Verein einen Besuch ab, deckte mich mit Informationen ein und entschied mich schliesslich, mich für einen Platz im Studierendenwohnheim zu bewerben – somit begann dieses große Abenteuer. Consciente hiess meine Bewerbung gut und wir besiegelten die gegenseitigen Rechte und Pflichten in einem Vertrag. Nachdem auch die Zulassung zum Studium reibungslos genehmigt wurde, begann ich schliesslich im März desselben Jahres einen Studiengang namens «Ökologischer und kultureller Tourismus».
Das Studierendenwohnheim, in dem ich mit anderen Stipendiat*innen wohnte, war wunderschön. Wir waren alle im gleichen Alter und das Zusammenleben funktionierte problemlos, nicht zuletzt dank eines “Ämtliplans”, der die anfallenden Arbeiten im Haushalt klar verteilte. Oft kam eine Verantwortliche von Consciente vorbei und stellte sicher, dass alles in Ordnung war. Neben Unterkunft und Essen stellte Consciente auch die Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, die wir benötigten, um unsere Hausaufgaben zu erledigen. Im Rahmen des Programms für Nachhaltigkeitsbildung nahmen wir zudem an Workshops zu Gender und Umwelt teil. Diese wurden von Consciente durchgeführt und waren für sämtliche Stipendiat*innen obligatorisch. Bei diesen kreativen und sehr partizipativen Workshops – wir nannten sie “Encerronas”– zelteten wir jeweils ein ganzes Wochenende unter freiem Himmel und erhielten Besuch von Freiwilligen aus der Schweiz und Italien, die die Workshops auf sehr harmonische Weise begleiteten.
Unser Stipendium verpflichtete uns, jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Sozialstunden zu leisten. In diesem Rahmen habe ich an einem Aufforstungsprogramm von Consciente teilgenommen sowie an einem Projekt namens REEPM (Red de Educadores y Educadores Populares de Morazán). Dabei werden junge Menschen zu sog. Educadores Populares ausgebildet, die dann als Bildungsmultiplikator*innen mit Gemeinden und Jugendorganisationen zusammen Gender- und Umweltworkshops durchführen und so die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlich sensiblen Themen fördern. So verbinden sich Stipendium und Studium auf fruchtbare Art und Weise.
Ich liebte mein Studium, denn der Tourismus und die anderen Fächer, die ich besuchte, interessierten mich sehr. Ich habe dabei viel gelernt und das Studium mit guten Noten abgeschlossen, so dass ich hoffen darf, auch im Berufsleben erfolgreich Fuss zu fassen. Nun ist diese wichtige Phase in meinem Leben vorbei. Das Consciente-Stipendium war eine der grössten Chancen, die ich je hatte, und wie viele meiner ehemaligen Co-Stipendiat*innen habe ich sie voll ausgeschöpft. Ich durfte viele neue Freundschaften knüpfen und mir wurden unzählige Türen geöffnet, um meine intellektuellen Fähigkeiten zu entwickeln. Consciente setzt sich für uns jungen Menschen ein und eröffnet uns Zukunftschancen, die nur wenigen offenstehen. Im Studierendenwohnheim von Consciente wuchsen wir zu einer Familie zusammen, in der wir uns alle gegenseitig unterstützten und gemeinsam weiterkamen.
Stipendienprogramm – so funktioniert’s:
Im Stipendienprogramm von Consciente ermöglichen Menschen aus der Schweiz und Deutschland engagierten Jugendlichen aus armen Verhältnissen im Departement Morazán eine technische oder universitäre Ausbildung.
Finanzielle Unterstützung: Das Stipendium in Schweizer Franken entspricht dem Betrag in US-Dollar, den die Jugendlichen monatlich ausbezahlt bekommen.
Soziales Engagement: Die Stipendiatinnen und Stipendiaten leisten jährlich 100-180 Sozialstunden in einem der Projekte von Consciente oder in einem eigenen Projekt in ihren Gemeinden.
Briefkontakt: Bei einem persönlichen Stipendium besteht die Möglichkeit, mit der zugeteilten Person regelmässigen Briefkontakt zu pflegen.
Consciente-Stipendien
80-150 CHF pro Monat
Dauer: 2-6 Jahre (Medizin: 8 Jahre)
25-75 CHF pro Monat
Dauer: 2-6 Jahre
Erfahrungsbericht von Glenda, ehemalige Consciente-Stipendiatin
/in Deutsch, Stipendienprogramm/von Livia JakobAutorin: Glenda,
Übersetzung: Sales Hollinger
Im Jahr 2015 erhielt ich von der Stiftung Consciente El Salvador ein bezahltes Universitätsstipendium zugesprochen. Dies war meine einzige Geldquelle, um mein Studium zu finanzieren, und so fokussierte ich mich vollständig darauf, das Studium erfolgreich zu meistern. Ich spürte eine Verpflichtung nicht nur gegenüber Consciente, sondern auch mir selber: Ich wollte studieren, um eines Tages ein proaktiver Teil des gesellschaftlichen Wandels in meinem Departement zu werden.
Als ich erfuhr, dass mein Stipendienantrag bewilligt worden war, verspürte ich grosse Begeisterung – ein Traum ging in Erfüllung. Meine Mutter und Geschwister halfen mir umgehend dabei, die nächsten Schritte in die Wege zu leiten. Ich durfte diese grossartige Chance nicht verpassen, denn meine Familie würde niemals in der Lage sein, von dem winzigen Einkommen auch nur ansatzweise ein Universitätsstudium zu finanzieren. Ich spürte die Erwartung und die grosse Verantwortung, die mit dieser Möglichkeit einherging.
Dank all der wohlwollenden Menschen, die mir dieses Stipendium ermöglichten, eröffneten sich mir nun Türen, die für die Mehrzahl meiner Schulkolleg*innen verschlossen bleiben würden. Ich entschied mich für das Studium als Sprachlehrerin für die Oberstufe und das Gymnasium. Als einzige Gegenleistung für das Stipendium musste ich jährlich 180 Sozialstunden leisten, und so unterrichtete ich nebenbei im Centro Escolar Cantón San José in Gotera. Dort bot ich Kurse in Kalligrafie und Rechtschreibung an und versuchte, die Kunst des Lesens und des Schreibens auf spielerische Weise zu vermitteln – eine innovative Form der Bildung, die für viele völlig ungewohnt war.
Mein erstes Studienjahr war ziemlich anspruchsvoll, da für mich alles neu war während dieser Phase. In einigen Fächern verstand ich nicht sehr viel, doch die Menschen von Consciente waren stets da und unterstützten mich, wo es ging – unser gemeinsames Ziel war es, irgendwie durchzukommen. Das zweite Jahr stand im Zeichen eines Hochschulaustauschs, in dessen Rahmen wir Universitäten umliegender Länder besuchten, um deren Kultur und Unterrichtsformen kennenzulernen. Daneben durfte ich an mehreren Consciente-Workshops teilnehmen und mein Wissen in gesellschaftlich relevanten Bereichen vertiefen.
Im dritten Jahr stand mit den Unterrichtspraktika die wichtigste Phase des Studiums an. Ich absolvierte sie am Instituto Nacional in Gotera. Der direkte Umgang mit Studierenden bildet einen grundlegenden Teil der Ausbildung zur Lehrtätigkeit und war zugleich aufregend und anspruchsvoll.
Ende Dezember letzten Jahres hatte ich die Kurse bereits alle absolviert, und es blieb mir nur noch eine Prüfung (ECAP) zu bestehen. Gesagt, getan – schliesslich wurde mir an der Abschlussfeier mein Diplom überreicht.
Ohne die Hilfe von Consciente hätte ich es nie geschafft, so weit zu kommen. Sie haben mir ihr Vertrauen geschenkt und ich habe sie nicht enttäuscht. Nun fühle ich mich umso mehr verpflichtet, meinerseits einen Beitrag zur Ausbildung eines jeden Kindes zu leisten. Ich bin jetzt eine ausgebildete Fachfrau und verspüre eine grosse Zufriedenheit und Handlungsfähigkeit. Vor allem aber bin ich Gott und der Stiftung Consciente sehr dankbar. Nun möchte ich weiterhin vorwärtskommen und das Beste aus meiner künftigen Arbeit herausholen.
Bereits während der Lehrpraktika begann ich, das erworbene Wissen in die Praxis umzusetzen. Unterdessen bin ich voll und ganz ins Berufsleben eingestiegen und sehr glückliche bei meiner Arbeit. Denn das klein wenig Wissen, das in den Kindern täglich beibringen kann, hat in der Summe eine grosse Auswirkung. Zurzeit arbeite ich mit Consciente daran, durch kreative Lernmethoden die Qualität der Bildung fortlaufend zu verbessern. Diese Arbeit ist sehr produktiv und befriedigend.
Consciente besteht aus lauter engagierten Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: die Qualität und den Zugang zu Bildung zu verbessern. Wenn ich an den Unterschied denke, der das Stipendium für meine eigene berufliche Laufbahn bedeutet, verspüre ich eine tiefe Dankbarkeit gegenüber allen Spenderinnen und Spendern. Wo ich lebe, gibt es wegen der mangelnden finanziellen Ressourcen kaum Menschen mit einer festen Stelle, denn dafür bedarf es fast immer eines Hochschulabschlusses.
Inzwischen bin ich ein Mensch geworden, der sich dank der vielen guten Vorbilder in das soziale Engagement verliebt hat. Deshalb versuche ich alles, um die gesellschaftlichen Verhältnisse irgendwie zu verbessern. In meiner Gemeinde bewundern mich viele dafür, dass ich diese Gelegenheit gepackt habe. Aber gleichzeitig bin ich auch ein Ansporn für die junge Generation, ihre Träume ebenfalls zielbewusst zu verfolgen und nie aufzugeben. Es beeindrucken sie die kleinen Schritte und die grossen Opfer, die ich hinter mir habe. Ich fühle gegenüber meiner Gemeinde eine grosse Bescheidenheit und setze mich Tag für Tag mit Leidenschaft dafür ein, die Bedingungen der Menschen hier zu verbessern.
Stipendienprogramm – so funktioniert’s:
Im Stipendienprogramm von Consciente ermöglichen Menschen aus der Schweiz und Deutschland engagierten Jugendlichen aus armen Verhältnissen im Departement Morazán eine technische oder universitäre Ausbildung.
Finanzielle Unterstützung: Das Stipendium in Schweizer Franken entspricht dem Betrag in US-Dollar, den die Jugendlichen monatlich ausbezahlt bekommen.
Soziales Engagement: Die Stipendiatinnen und Stipendiaten leisten jährlich 100-180 Sozialstunden in einem der Projekte von Consciente oder in einem eigenen Projekt in ihren Gemeinden.
Briefkontakt: Bei einem persönlichen Stipendium besteht die Möglichkeit, mit der zugeteilten Person regelmässigen Briefkontakt zu pflegen.
Consciente-Stipendien
80-150 CHF pro Monat
Dauer: 2-6 Jahre (Medizin: 8 Jahre)
25-75 CHF pro Monat
Dauer: 2-6 Jahre
Erfahrungsbericht von Bernaldino, ehemaliger Consciente-Stipendiat
/in Deutsch, Stipendienprogramm/von Livia JakobAutor: Bernaldino (25),
Übersetzung: Sales Hollinger
Ich wurde in einer ländlichen Region geboren, auf einem Berg fernab der Stadt – einem Ort, wo auch heute noch junge Menschen kaum Möglichkeiten haben, an der Universität zu studieren. Vor zehn Jahren wurde mir der Fuss amputiert, und keine drei Wochen später verliess ich mein Zuhause auf der Suche nach einer besseren Ausbildung. Ich arbeitete und studierte fünf Jahre lang in einer kleinen Stadt namens Yamabal, wo ich die Grund- und Sekundarschule absolvierte. Ende 2015 entschied ich mich, meine Ausbildung fortzusetzen, obwohl ich in den letzten Monaten des Jahres keinerlei finanzielle Unterstützung erhielt. Ich arbeitete daher noch mehr, um Geld zu sparen und im darauffolgenden Jahr das Studium zu beginnen.
Ein Jahr später erhielt ich dann die Nachricht, dass ich die Zulassungsprüfung zur besten Uni meines Landes, der Universidad Nacional, bestanden hätte. Zum lachenden gesellte sich ein tränendes Auge, denn ich musste in eine Stadt ziehen, in der das Leben sehr teuer war. Tatsächlich waren meine Ersparnisse bereits zwei Wochen nach Unterrichtsbeginn erschöpft. Ich übernahm neben dem Studium einige Malerarbeiten in einer anderen Stadt, wo ich niemanden kannte, und so hielt ich mich eher schlecht als recht über Wasser. Eines Tages dann erzählte mir Melissa, eine Klassenkameradin, von Consciente: einer Stiftung, die mittellosen Jugendlichen finanzielle Unterstützung bietet und ihnen so ein Studium ermöglicht. Sie selber erhalte bereits ein solches Stipendium. Am darauffolgenden Tag reiste ich nach Gotera, wo Consciente seinen Sitz hat, und bewarb mich für ein Hochschulstipendium. Bald riefen sie mich an und teilten mir mit, dass das Stipendium für mich genehmigt wurde, dass ich eine Patin namens „Lissi“ hätte, die, ohne mich zu kennen, an mich glaube und mir finanzielle Unterstützung gewähren möchte. Von da an hatte ich genug Geld für mein Studium und konnte mit meinem Nebenjob sogar meine Mutter und meinen kranken kleinen Bruder ein wenig unterstützen.
Das Stipendium war für mich nicht nur eine grossartige Erfolgsgeschichte, sondern auch Ausdruck von einer besonderen Liebe, die ich empfangen durfte. Da gibt es Personen, die anderen, ihnen unbekannten Menschen dabei helfen, ihre Träume zu verwirklichen. Während der drei Jahre meines Stipendiums fühlte ich mich aufgehoben wie in einer Familie, denn die Mitarbeitenden von Consciente sind äusserst freundlich und liebevoll und waren jederzeit für mich da.
Ich liebte es, meine Sozialstunden zu leisten, die ich mit Kindern meiner Gemeinde verbrachte. Zusammen schufen wir Kunstwerke aus Recyclingmaterial. Dabei verarbeiteten wir sagenhafte 5’000 Plastiktüten, die in meiner Gemeinde entsorgt werden sollten – anstatt der ursprünglich vorgesehenen 2’000!
Nun bin ich Mathematiklehrer, und dies verdanke ich sowohl meiner Patin Lissi als auch Consciente, und natürlich auch meinem eigenen Einsatz. Das macht mich glücklich und dankbar. Doch bin ich mir auch bewusst, dass ich eine zumindest ebenso grosse Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft habe; die Ausbildung von Hunderten von Studierenden liegt in meiner Verantwortung und deshalb versuche ich, mich jeden Tag zu verbessern. Das Stipendienprogramm hat hier im Departement Morazán einen großen Einfluss auf die Bildung der Menschen, denn in den kommenden Jahren wird es dank der vielen Spender*innen nicht nur zwei, sondern Dutzende von ausgebildeten jungen Fachleuten in unterschiedlichen Bereichen geben, die die Gesellschaft auf ihre je eigene Art weiterbringen werden.
Consciente Stipendienprogramm – so funktioniert’s
Im Stipendienprogramm von Consciente ermöglichen Menschen aus der Schweiz und Deutschland engagierten Jugendlichen aus armen Verhältnissen im Departement Morazán eine technische oder universitäre Ausbildung.
Finanzielle Unterstützung: Das Stipendium in Schweizer Franken entspricht dem Betrag in US-Dollar, den die Jugendlichen monatlich ausbezahlt bekommen.
Soziales Engagement: Die Stipendiatinnen und Stipendiaten leisten jährlich 100-180 Sozialstunden in einem der Projekte von Consciente oder in einem eigenen Projekt in ihren Gemeinden.
Briefkontakt: Bei einem persönlichen Stipendium besteht die Möglichkeit, mit der zugeteilten Person regelmässigen Briefkontakt zu pflegen.
Consciente-Stipendien
80-150 CHF pro Monat
Dauer: 2-6 Jahre (Medizin: 8 Jahre)
25-75 CHF pro Monat
Dauer: 2-6 Jahre
Gesundheitsbildung in El Salvador
/in Deutsch, Education Popular, Nachhaltigkeitsbildung/von Livia JakobAutoren
Lukas Minder (30, Arzt)
Eveline Tissot (29, Ärztin in der Weiterbildung ‘’Allgemeine Innere Medizin’’)
Während unseres Aufenthalts bei Consciente El Salvador erhielten wir Einblick ins salvadorianische Gesundheitssystem. Wir konnten uns mit Delegierten des Gesundheitsministeriums austauschen, Ärzt*innen bei der Arbeit über die Schulter schauen und nicht zuletzt mit Patient*innen und deren Angehörigen reden. Wenn sich die Leute in etwas einig sind, dann darin, dass es in El Salvador an allem Wesentlichen fehlt – aber nicht an Problemen. Für Leute aus ruralen Gebieten ist bereits der Weg zum nächsten Gesundheitszentrum finanziell wie auch organisatorisch eine Herausforderung. Hat man die Möglichkeit, einen Arzt aufzusuchen, dauert es meist sehr lange, bis ein Termin möglich ist (an dem der Arzt dann auch erscheint). Wegen des ausgeprägten Mangels an Spezialist*innen und Ressourcen im öffentlichen Gesundheitswesen haben nur finanziell privilegierte Menschen Zugang zu qualitativ akzeptabler medizinischer Versorgung. Die Mehrheit muss aber mit dem personell und materiell schlecht ausgestatteten öffentlichen Spital auskommen und oft monatelang auf einen simplen Sprechstundentermin warten.
Würde man nur diese Seite von El Salvador betrachten, könnte man direkt daran verzweifeln. Doch es fehlt der wichtigere Teil der Betrachtung. Denn trotz der unzähligen Probleme hat das Land ein riesengrosses Potenzial: seine sozial motivierten und unermüdlich engagierten Menschen. Diese Leute, selber aus marginalisierten Verhältnissen stammend, organisieren sich, bilden sich weiter, besuchen Workshops, machen ein Studium, all dies mit einem Ziel: den Leuten zu helfen, welche es noch schwieriger haben als sie selbst. Sie wollen die Gesellschaft zu einer gerechteren, die Welt zu einer schöneren machen – für alle statt nur für wenige. Diese Motivation ist nicht zuletzt das Resultat der Nachhaltigkeitsbildungsprojekte von Consciente: In verschiedenen Kursen werden die Leute auf die Ursachen der Ungerechtigkeiten – beispielsweise in Genderfragen – aufmerksam gemacht und befähigt, selber aktiv zu werden und eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder aufzubauen.
‘’Motivation ist ansteckend’’ – In Bezug auf Gesundheitsfragen, so wurde uns oft gesagt, herrsche sehr viel Unwissen. Weder sind Risikofaktoren für vermeidbare Gesellschafts- und Infektionskrankheiten bekannt, noch kennen die Leute die Symptome, bei deren Auftreten sie unbedingt eine Ärztin aufsuchen sollten. So leiden viele an chronischen Krankheiten, denen leicht vorzubeugen wäre oder die mithilfe einer Fachperson einfach zu behandeln wären. Ein Besuch beim Arzt erfolgt meist zu spät – wenn überhaupt. So ist nach mehreren Gesprächen mit betroffenen Angehörigen, Ärztinnen und Consciente-Mitarbeiter*innen in El Salvador die Idee entstanden, im Rahmen der bereits bestehenden Nachhaltigkeitsbildung Workshops zu präventiv-medizinischen Themen anzubieten. Das Ziel war es, Wissen zur Prävention von gängigen Krankheiten breiter zugänglich zu machen. Mit dem Gesundheitsprojekt möchten wir die Menschen unterstützen, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen. Wir verstehen diese Workshops als wichtigen Schritt hin zu einer Bildung zur Selbstverantwortung, zu einer funktionierenden Gesellschaft mit allgemeinem Zugang zu Wissen auch im medizinischen Bereich. Denn wer krank ist, wird immer benachteiligt sein und wird nicht die Kraft haben, seine Gesellschaft zu einer besseren zu machen. In diesem Sinne gehört aus unserer Sicht zu einer nachhaltigen Bildungsarbeit die Gesundheitsbildung zweifellos dazu.
Conscientes Projekt für Gesundheitsbildung
Consciente bietet seit neustem Workshops und Weiterbildungen zu Themen der präventiven Medizin und der Selbstverantwortung in Gesundheitsfragen an. Wir sind auf der Suche nach Spenderinnen, Spendern und Projektpartnern, die dieses Projekt unterstützen wollen.
Das Mädchen und das Geschenk – Bericht von Tania, Freiwillige aus der Schweiz
/in Aktiv werden, Freiwilligenarbeitsprogramm, SCI Freiwilligeneinsatz/von Livia JakobAutorin: Tania Porto (aus der Schweiz), SCI Freiwillige bei Consciente El Salvador
Übersetzt von: Sales Hollinger
Stellt euch ein Mädchen vor, das ein Geschenk vor sich hat und es jeden Augenblick öffnen wird. Das Glück, die Ungewissheit und die Neugier, die sie empfindet – das ist es, was auch ich empfand, als ich allein am Flughafen vor einer Anzeigetafel stand, auf der stand: Destination El Salvador.
Umarmungen…
Es war das erste Mal, dass ich „el charco“ überquerte; das erste Mal, dass ich allein reiste und das erste Mal, dass ich in ein anderes soziales Umfeld eintauchte. Aber die Angst vor all diesen „ersten Malen“ verschwand mit jeder Umarmung, die mir die Menschen gaben, denen ich auf dem Weg begegnete. Wenn sich die Menschen in El Salvador vorstellen, dann umarmen sie dich so herzlich, dass du dich voll und ganz willkommen fühlst – es ist wunderschön.
Während meiner ersten Woche bei Consciente erhielt ich unzählige solcher Umarmungen, die mich jeden Tag mehr wie zu Hause fühlen liessen. Im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass Consciente nicht nur ein Büro ist – es ist ein Zuhause für seine Mitarbeitenden, die sich mit Körper und Seele für sozialen Wandel einsetzen, sowie für all jene jungen Menschen, die einen sicheren Ort gefunden haben, an dem sie Freude, Ängste und Träume teilen können. Wie in jedem Haus wohnte auch bei Consciente eine Familie, die mich von Beginn weg mit Liebe und Vertrauen aufnahm.
Erschaffen…
Ich hatte mir bereits vor der Reise einige Gedanken gemacht, doch die Realität lehrte mich: Was wir hier für notwendig halten, ist nicht zwingend etwas, das sie dort ebenfalls brauchen. Deshalb änderte ich meine Pläne und verbrachte die ersten Wochen damit, die Jugendlichen bei ihren Aktivitäten zu begleiten, zu beobachten und mit ihnen zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich auch den Einflusses, den Consciente auf die Jugendlichen hatte: das kritische Bewusstsein gegenüber patriarchalen Strukturen, die Sensibilität für die Umwelt oder das Engagement in der Gemeindearbeit. Das sind Dinge, die sich nicht messen und in einem Bericht festhalten lassen, aber sie sind da und haben enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Was mir an Consciente am meisten gefällt, ist, dass sich das Handeln stets an Nachhaltigkeit orientiert: Es wird Autonomie geschaffen, nicht Abhängigkeit. So hinterlassen die Projekte bleibende Spuren, wie ich am eigenen Leib erfahren durfte.
Es wurde bald klar, dass ich Teil des Programms für Nachhaltigkeitsbildung sein wollte. Dabei handelt es sich um mehr als ein blosses Bildungsprogramm – es ist eine Lebensweise des Hinterfragens, der Reflexion sowie des Schaffens von Werkzeugen zur kritischen Analyse und anschliessenden Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse.
Nachdem wir uns mit den Jugendlichen darüber ausgetauscht hatten, organisierte ich mit einem Kollegen einen intensiven Workshop zum Thema „Strategien der Organisation“. Ziel war es, den Jugendlichen des „Red de Educadores Populares“ – eines Netzwerks von jungen Freiwilligen –Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie effektiver arbeiten und durch ihre Bildungsarbeit einen nachhaltigeren Einfluss auf die Gemeinschaft erzielen können. Im Zentrum standen dabei eine strategische Planung, Organisations-prozesse sowie Methoden der Kommunikation und der Persönlichkeits-entwicklung.
Diese jungen Freiwilligen sind bewundernswert: Ihre Fähigkeit, Wissen zu schaffen und zu teilen, ist erstaunlich. Sie sind wie Schwämme, die Informationen aufsaugen, aber gleichzeitig nach ihren Bedürfnissen und Interessen gestalten – und genau das ist es, was dieses Programm so schön macht: dass es diesen unverzichtbaren Prozess des autonomen Wachstums ermöglicht. Die Selbstständigkeit, mit der diese Jugendlichen sich die nötigen Werkzeuge aneigneten und sie kreativ einsetzten, war während der kurzen Zeit der Zusammenarbeit deutlich spürbar.
Frauensache…
Die Realität einer Frau in El Salvador ist nicht dieselbe wie jene eines Mannes. Meine männlichen Kollegen hatten keine Angst, alleine mit dem Bus zu reisen. Ebensowenig mussten sie darüber nachdenken, wie „frau“ sich kleidet, um einen Ausflug in ländlichere und konservativere Gegenden zu machen; was „frau“ trägt, wenn sie an den Strand gehen möchte; wie sie sich gegenüber unangebrachten „Komplimenten“ auf der Strasse verhält; ob „frau“ ein Bier in der Öffentlichkeit trinken soll oder nicht; usw.
Abgesehen davon, dass ich eine Frau bin, sind meine Haare blond gefärbt (oder „weiss“, wie man in El Salvador sagt) und ich bin tätowiert. Manchmal fand ich mich in unbequemen Situationen wieder, in denen ich gerne unsichtbar gewesen wäre. Bei alltäglichen Dingen wie dem Anstehen im Supermarkt stehst du ständig im Mittelpunkt, denn du bist nun mal „anders“. Schliesslich musste ich lernen, diese Situationen einzuordnen und mich den patriarchalischen Strukturen zu stellen, die mich unter Druck setzten.
Doch erfährt eine Europäerin diese Ungleichheit noch immer anders als eine Salvadorianerin. Als Feministin habe ich erkannt, dass unsere „europäischen Bewegungen“ manchmal andere Arten von Kämpfen schlicht ignorieren, da wir sie bereits für ausgefochten halten. Die Diskussion des Feminismus mit meinen salvadorianischen Kolleginnen war jedenfalls sehr bereichernd.
Am 8. März, dem internationaler Frauentag, hatte ich die Gelegenheit, einen Ort namens „Ciudad Mujer“ (Frauenstadt) zu besuchen. Dort wird ein Programm zur ganzheitlichen Betreuung (medizinische Versorgung, wirtschaftliche Selbstständigkeit, etc.) von Frauen entwickelt, die an geschlechtsspezifischer Gewalt leiden. An jenem Tag konnte ich diesen Raum mit den Frauen teilen und bekam so die Gelegenheit, einen Einblick in ihre Erfahrungen zu erhalten. Die Geschichten, die ich hörte, machten mich fassungslos angesichts der Ängste und der Ungerechtigkeiten, die diesen Frauen widerfahren sind. Aber sie hinterliessen auch viel Bewunderung für ihre Widerstandsfähigkeit und Ausdauer.
Diese Erfahrungen stärkten mein Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung von Bildungsprogrammen wie demjenigen zur „Educación Popular“ von Consciente.
Farben…
El Salvador ist in kostbare Farben gehüllt. Die Landschaften sind bildschön und die Aussichtspunkte rauben dir für Sekunden den Atem. Die Stimmungen El Salvadors sind einzigartig – seine Vulkane, seine Musik und seine Menschen. Es faszinierte mich, mit einem Fresco (lokales Getränk auf Fruchtbasis) in der Hand durch den Markt zu schlendern und die Verkäufer von Kunsthandwerk zu beobachten oder die Frauen, die Tortillas und Puppen vor ihren Häusern zubereiten. Oder mit der Obsthändlerin zu sprechen und der Frau zuhören, die den schweren Eimer Gemüse auf dem Kopf trägt. Manchmal wurde diese Stimmung durch ein Militärfahrzeug unterbrochen, in dem bewaffnete Männer mit verhüllten Gesichtern Kontrollen durchführten, sogar vor Kindergärten. Manchmal packte ein junges Mädchen plötzlich meine Hand und bettelte mit Tränen in den Augen. Zu anderen Zeiten sah ich eine ältere Frau, die, um irgendwie über die Runden zu kommen, Taschen verkaufte, die sie auf dem Boden gefunden hatte. Es war nicht immer einfach, mit dem Kontrast zwischen der Schönheit und Einzigartigkeit dieses Landes und seiner schwierigen sozialen Realität umzugehen.
Die Farben El Salvadors werden von seiner kriegerischen Vergangenheit überschattet, die sich in den Gesichtern der Menschen widerspiegelt und in ihrer Art, nach einem besseren Leben zu streben. Manchmal war ich so eingenommen von der Schönheit dieses Landes, dass ich seine Geschichte vergass. Und ich glaube, dass ich dort ein Werkzeug gefunden habe, um gemeinsam zu lernen: Während ich sie an die Schönheit ihres Landes erinnerte, die für sie alltäglich und damit unauffällig geworden war, unterrichteten sie mich über die historischen Ereignisse El Salvadors – eines Landes, dessen Geschichte ich nicht kannte, an der ich als Europäerin wegen unserer kolonialen Vergangenheit aber ebenfalls in einem gewissen Sinne teilhabe.
Reflexionen…
In einer der Schulen, die ich besuchte, gab es ein Schild mit der Aufschrift: „Die Menschen sind nicht arm wegen ihrer Art zu leben, sondern wegen ihrer Art zu denken.“ El Salvador verfügt über einen grossen Reichtum an materiellen und personellen Ressourcen, doch das Problem sind die Ausbeutung und die Machtstrukturen, die in diesem Land bestehen. Und unter Machtstrukturen verstehe ich sowohl diejenigen, deren Ursprung in den gesellschaftlichen Entwicklungen des Landes selber zu suchen ist als auch jene, die wir im Zusammenhang mit unserer kolonialen Vergangenheit geschaffen haben.
Meine Position innerhalb dieser Machtstruktur war der grösste Kampf, den ich während meines Aufenthalts zu bestreiten hatte, sowohl persönlich als auch beruflich: Welche Rolle spiele ich in dieser Gesellschaft? Weshalb kommen wir von aussen „zu Hilfe“? Wie positioniere ich mich in Bezug auf die sozialen Situationen, die ich beobachte?
Wir führten nächtelange Diskussionen, in denen wir über weisse Vorherrschaft, «Malinchismo», Kolonialismus und dergleichen sprachen. Das waren äusserst wichtige Debatten, und ich denke, dass jede/r Freiwillige über diese Dinge nachdenken sollte, bevor sie oder er hierher kommt. Der Wandel manifestiert sich auch in meiner eigenen Sprache. So sage ich nicht mehr, dass ich freiwillig „helfe“ – vielmehr komme ich, um einen kulturellen Austausch durchzuführen. Dabei sind wir nicht etwa Trägerinnen des Wissens, sondern – wie es die Educación Popular lehrt – Teilnehmende eines egalitären Prozesses, in dem Wissen geschaffen und geteilt wird.
Das Mädchen und das Geschenk…
Das Mädchen, das ich euch am Anfang vorgestellt hatte, hat nun, nach ihrer Rückkehr, ihr Geschenk geöffnet und in ihm eine Welt namens El Salvador gefunden – voller Liebe, Freundschaft, Kampf, Erkenntnisse, Schönheit und Bewegung. Werte, die mein Sein und meinen zukünftigen Weg geprägt haben bzw. prägen werden. Ich bin dankbar für das Vertrauen und die Lehren, die die Menschen von Consciente in El Salvador sowie in der Schweiz mit mir geteilt haben und natürlich dafür, dass sie mir die Freiheit gegeben haben, mich auf diesem Weg voller Herausforderungen selber zu entfalten. Ich bin all jenen dankbar, die sich die Zeit genommen haben, mir die Schönheit des Landes, seine Geschichte, seine Tränen, seine Zukunftsvisionen zu zeigen. Vor allem möchte ich mich bei den Jugendlichen bedanken, die mich bei meinen Workshops begleitet haben. Sie liessen mich an ihrem Alltag teilhaben und gaben mir dabei viele Lektionen fürs Leben, viel Glück, die Hoffnung auf sozialen Wandel sowie die Energie, diesen aktiv einzufordern. Consciente hat mich Teil der Bewegung werden lassen – und ich bin jetzt Teil von Consciente.
Danke, Familie.
Tipps für zukünftige Reisende:
Autorin: Tania Porto (aus der Schweiz), SCI Freiwillige bei Consciente El Salvador
SCI Freiwilligen-Einsätze bei Consciente
Die Zusammenarbeit mit dem Service Civil International (SCI Schweiz) ermöglicht es uns, Langzeitfreiwillige aus der ganzen Welt in El Salvador zu empfangen. Unsere internationalen Freiwilligen arbeiten bei bestehenden Projekten mit oder setzen eigene Ideen um und unterstützen so das lokale Team. Hast du Lust, wie Tania als Freiwillige nach El Salvador zu gehen? Mehr Informationen findest du hier:
Alles ist möglich in einem Land wie diesem… – Bericht von Sebastiano, Freiwilliger aus Italien
/in Aktiv werden, Freiwilligenarbeitsprogramm, SCI Freiwilligeneinsatz/von Livia JakobAutor: Sebastiano Santoro (aus Italien), SCI Freiwilliger bei Consciente El Salvador
Übersetzt von: Sales Hollinger
Bevor ich mein LTV (Long Term Volunteering) antrat, drehte sich ein Strudel voller Ideen und Motivationen in meinem Kopf, auf die ich stets mit derselben grundsätzlichen Frage reagierte: „Was drängt mich eigentlich zum Gehen?“ Und stets hörte ich mich, ätzend und eintönig wie ein Anrufbeantworter, die folgenden Gründe zitieren: weil die internationale Zusammenarbeit das Thema meiner Bachelorarbeit war und ich mein Wissen in diesem Bereich unbedingt mit einer Live-Erfahrung vertiefen wollte.
Das Abfahrtsdatum rückte näher, und in diesem verwirrenden Strudel von Ideen begann ich langsam, ein schärferes Bild zu sehen, eine klare Form, die über die übliche Leier hinausging. Schliesslich halfen mir die zwei Ausbildungstage mit dem SCI (Service Civil International) in Rom, das Wirrwarr aufzulösen: Mit anderen Jugendlichen aus ganz Italien zusammenzukommen, die wie ich ins Ausland gehen wollten, ihre Ängste und Erwartungen zu hören und die Geschichten derjenigen, die soeben aus einem Workcamp (einer möglichen Form der Freiwilligenarbeit beim SCI) zurückgekehrt waren – all dies schaffte mir Klarheit darüber, was ich tun wollte.
Sich freiwillig zu engagieren, jenseits aller praktischen Gründe, ist eine sehr intime Entscheidung. Sie rührt aus einer Unverträglichkeit mit dem Hier und Jetzt, aus dem Wunsch, in einen anderen Winkel der Welt zu fliehen, auf der Suche nach einem Ort, an dem alles ein wenig mehr Sinn zu ergeben scheint.
Wir sind alle vor etwas geflohen. Es gab einen, der die Kontinente bereiste und sich verirrte und nun die Erfahrung machen wollte, im Dienste anderer zu stehen; einen – schon etwas älter, mit einem Job bei der Bank und Familie –, der beschloss, die Sorgen des Alltags abzuschütteln und zu gehen; einen, der noch zu jung und unsicher war; einen, der einer beendeten Liebe entfloh, und einen anderen, der der Trägheit seines kleinen Provinzdorfes entkommen wollte. Allesamt gingen sie mit der Sehnsucht nach Veränderung, nach Leben und Bewegung.
Was mich betrifft, so habe ich verstanden, dass bei dieser Entscheidung auch scheinbar zusammenhangslose und kaum denkbare Motivationen mitspielten – vor allem die zwei folgenden:
Zum einen waren da die Worte eines alten Lehrers aus den letzten Jahren meiner Zeit in der Sekundarschule. Er war einer jener Lehrer, die sich kaum beherrschen konnten, wenn sie mal wütend waren, die dann aber in der mündlichen Prüfung die Nationalität von Maradona, dem Fussballer, abfragen, wenn sie merken, dass du in Schwierigkeiten bist. In seinen Augen war ich ein unantastbarer Schüler, fleissig und unfehlbar – auch wenn oftmals falsch lag. Eines Tages vertraute er mir an, dass er nach seiner Pension etwas Geld sammeln und per Schiff nach Mittelamerika auswandern wolle, nach Guatemala, Honduras oder El Salvador. Dort wolle er sich ein kleines Haus am Meer kaufen, täglich angeln gehen und den Ruhestand in der Hitze der Tropen geniessen. Er erzählte witzige Anekdoten über die Menschen an diesen Orten, die ihm von früheren Reisen bekannt waren – darüber, wie „gutmütig, authentisch und solidarisch“ sie seien – und zeichnete ein magisches und faszinierendes Bild der Sprache dieser Länder und der Menschen, die dort lebten. Während meiner ganzen Jugend spürte ich den Zauber seiner Worte und Geschichten.
Zum anderen war da das Bild einer Pflanze: der „Bougainvillea“. Als Kind wuchs sie gross und üppig in einem Haus am Meer, wo ich jeden Sommer mit meiner Familie hinfuhr. Ich liebte diese Pflanze mit ihren leuchtend violetten Blüten, die, so erinnere ich mich, einen weichen Teppich bildeten, sobald sie zu Boden fielen. Ich liebte es, zwischen diesen Blütenblättern zu wandeln – bis meine Mutter ankam, stets auf Ordnung und Sauberkeit bedacht, und sie wegwischte. Eines Tages, vor vielen Jahren, wurde sie entfernt, um Platz für einen Ficus zu schaffen – und alles, was von ihr übrigblieb, war eine Erinnerung. Irgendwann habe ich herausgefunden, dass die Bougainvillea in Lateinamerika heimisch ist; von dort aus wurde sie hier in Europa von einem französischen Botaniker angesiedelt. Nach Lateinamerika zu gehen, die leuchtenden Farben der Bougainvillea wieder sehen zu können, ihren Duft zu riechen und auf den zu Boden gefallenen Blütenblättern zu gehen – das schien mir wie die Erfüllung verborgener Wünsche, die ich seit langem hegte. Mir gefiel der Gedanke – die Illusion – dass dieses Wiedersehen die zeitliche Distanz zwischen dem Kind, das ich war, und dem Mann, der ich jetzt bin, aufheben könnte.
Ich hatte somit verschiedene Beweggründe, teilweise sehr intime, und ich schämte mich beinahe, sie meinen Kolleg*innen zu gestehen. Jedenfalls sah ich nach dem Training mit dem SCI die Ideen ein wenig klarer und war überzeugt, dass ich einen Einsatz machen wollte. Wo? In Lateinamerika! Ich hatte keine Präferenzen bei der Wahl des Landes, aber ich bevorzugte Mittelamerika. Bei der Analyse der Vorschläge des SCI entschied ich mich schliesslich für ein Projekt in El Salvador, und zwar in San Francisco Gotera, der Hauptstadt Morazáns – eines der ärmsten Departemente des Landes und Schauplatz der Zusammenstösse zwischen der Guerilla und der staatlichen Armee im jüngsten Bürgerkrieg der 80er Jahre.
Bevor ich ging, war „El Salvador“ ein verwirrender Name für mich, und ich wusste auch nicht, wie ich ihn aussprechen sollte: Soll ich den Schwerpunkt auf die vorletzte Silbe oder auf die letzte Silbe legen? Es war ein Name, den ich im Grunde genommen mit drei Dingen verband: El Salvador wird von kriminellen Banden heimgesucht und hat daher eine der höchsten Mordraten der Welt; El Salvador ist eines der Ursprungsländer der Bougainvillea (die dort zu Ehren der Jahreszeit, in der sie blüht, „Veranera“ genannt wird); schliesslich wusste ich von meinem Lehrer, dass die Leute in El Salvador „gutmütig, authentisch und solidarisch“ sind.
Abgesehen von diesen eher widersprüchlichen Informationen wusste ich nichts über El Salvador. Die Kommentare zu Hause bezüglich der erstgenannten Tatsache könnt ihr euch wohl vorstellen. Doch der Wunsch zu gehen war stark und wurde auch von einem hartnäckigen Willen getrieben, tiefer in die Materie einzutauchen – ist El Salvador nur Gewalt und Kriminalität? Ich wollte die Dinge mit eigenen Augen beurteilen, statt blind den Statistiken zu vertrauen, die in den Zeitungen und im Internet zirkulierten. Jetzt, nach fünf Monaten Freiwilligenarbeit zurück in Italien, fühle ich mich „schwerer“ – und es ist nicht nur die Waage, die mir dies bestätigt. Ich habe verstanden, wie tiefgründig und voller angenehmer Überraschungen die Realität eines so kleinen Landes sein kann (die gesamte Fläche von El Salvador erreicht nicht einmal die Grösse der italienischen Region Emilia Romagna). Gleichzeitig ist das Land so komplex und zeigt tausend Gesichter, von denen nur das Negative die Aufmerksamkeit im Ausland erregt. El Salvador ist ein Land, dessen Widersprüche ich kennen und schätzen gelernt habe, da „alles möglich ist in einem Land wie diesem, das unter anderem den lächerlichsten Namen der Welt hat – jeder würde sagen, dass es ein Krankenhaus oder ein Schlepper ist“ (Zitat: Roque Dalton, salvadorianischer Dichter). El Salvador ist reich an Geschichte, Kultur und einer Menschlichkeit, die mich buchstäblich angenommen hat.
Ich habe Hand angelegt bei der Umsetzung einiger wesentlicher Ziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung. Nach vielen Jahren an der Universität und unzähligen Stunden der Theorie habe ich hier einen Weg gefunden, aus den Büchern herauszukommen und einigen dieser Ziele ein konkretes Gesicht und eine persönliche Geschichte zu geben.
Wenn ich zum Beispiel an das erste Ziel denke, „der Armut in der ganzen Welt ein Ende zu setzen“, dann erinnere ich mich an die grauen Wände der Häuser in den Armenvierteln von Guatajiagua, Cacaopera oder Gotera. Ich habe in den Häusern von Menschen geschlafen, die so gut sind wie Brot (für El Salvador wäre der Vergleich mit Tortillas besser), authentisch und rein wie Wasser, aber gezwungen, in Slums mit zerbrechlichen Dächern aus Ziegeln oder Eisenplatten zu leben. Unter prekären hygienischen Bedingungen und ohne grundlegende sanitäre Infrastruktur wohnen Grossfamilien zusammengedrängt auf wenigen Quadratmetern. Der materiellen Not steht ihre immense Gastfreundschaft gegenüber – eine uralte Tugend, die dort zu finden ist, wo es Demut gibt und die Neugierde, dem Fremden zu begegnen. Eine solche Gastfreundschaft liess mich die Ferne meiner Heimat vergessen. Sie bestand aus kleinen Dingen: aus gemeinsamem Essen und gemeinsamen Bemühungen, den schwarzen Schlamm zu gewinnen (für die für Guatajiagua typische handwerkliche Produktion von Keramik) oder das Wasser aus dem Brunnen zu holen; aus einem einfachen Lächeln, wenn man morgens aufwacht; aus brüderlichen Umarmungen und kostbaren Geschenken, wenn man sich verabschieden muss – kleine Gesten, die die Wände deines Herzens allmählich erweitern. Ich war immer der Ansicht, dass ein Haus, in dem Menschen wohnen, nicht nur ein Agglomerat aus Zement, Wasser und Ziegeln ist, sondern stets noch mehr: eine Art zu sein, ein Gefühl der Geborgenheit, eine Form der Liebe.
Ziel 4 der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, „qualitativ hochwertige Bildung“, hat das Gesicht jedes Mitglieds des Teams von „Consciente“ – der NGO, bei der ich während fünf Monaten im Einsatz war – sowie der unzähligen Menschen, die sie unterstützen. Bildung ist ein wichtiger Treiber der Entwicklung eines Landes, und Consciente hat einen ehrgeizigen Traum: eine partizipativere, kritischere und kreativere Bildung für Morazán zu ermöglichen – ein Departement, in dem das Bildungsniveau niedrig ist und auch junge Menschen aus wirtschaftlichen Gründen die Schule ohne Abschluss verlassen müssen. Zu diesem Zweck hat die Organisation zusammen mit einem Schweizer Team eine Reihe von Projekten entwickelt, die sich auf die Vergabe von Stipendien, die Innovativen des Mathematikunterrichts und vieles mehr konzentrieren. Die Zahl der jungen Menschen, die von diesen Projekten profitieren, ist unendlich: Jede und jeder von ihnen hat eine schwierige persönliche Geschichte, aber auch den Traum, ein Studium abzuschliessen, um eine bessere Zukunft für sich, die Familie und das ganze Land zu ermöglichen, denn – wie mir einmal jemand aus dem Consciente-Team sagte – „Bildung verändert nicht die Welt, sondern die Menschen, die eines Tages die Welt verändern werden“. Aber Ziel Nummer 4 hat auch das Gesicht der Jungen und Mädchen, die an dem kleinen Italienisch-Sprachkurs teilgenommen haben, den ich persönlich im Hauptsitz der NGO entwickelt habe. Der Kurs ist zu einem Raum des Lernens, des Denkens und der Verbreitung von Ideen geworden, in dem wir nebenbei einige Grundregeln der Sprache gelernt haben. Wir haben italienische Lieder gesungen (zum Ärger der Nachbarn); wir schauten voller Emotionen den Film „Life is Beautiful“ – mein Blut erstarrte, als ich gefragt wurde, ob es wahr sei, dass im Italien jener Jahre die politische Rhetorik Menschen in Rassen unterteilte, wie es sonst mit Tieren geschieht – und wir kochten eine Carbonara nach römischer Art und bereiteten neapolitanischen Espresso zu.
Schliesslich hatte ich auch die Gelegenheit, mich persönlich von der Bedeutung des Ziels 5 zu überzeugen: „Gleichstellung der Geschlechter“ ist der unerfüllte Traum vieler Frauen, die physische und psychische Gewalt erlitten haben, die verbal belästigt oder vergewaltigt wurden oder denen das Recht auf ein Studium verweigert wurde – Frauen, die gegen ein System kämpfen, das ihre Flügel von früher Kindheit an zurückstutzt. Mit ihnen marschierte ich am 25. November, dem Welttag der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, um gleiche Rechte für Frauen einzufordern. Einen besonderen Platz in meinen Erinnerungen hat der Ausdruck im Gesicht einer Frau eingenommen, der sich zu einer Grimasse zusammenzog: Schmerz und Befreiung, dunkle Augen, gerötet und von Tränen geschwollen. Es war Imelda Cortez vor dem Gerichtssaal, kurz bevor sie schliesslich von der Anklage des versuchten Kindermordes freigesprochen wurde. Die Geschichte von Imelda, einem 21-jährigen Mädchen, ist zum Symbol des salvadorianischen Kampfes für die Rechte der Frau geworden. Von ihrem Stiefvater zehn Jahre lang sexuell missbraucht, wurde sie im Alter von siebzehn Jahren schwanger und beschloss, ihre Schwangerschaft fortzusetzen, ohne Schule und Beruf aufzugeben. Sie war im achten Monat schwanger, als eines Tages plötzlich die Schmerzen einsetzten – es folgte eine Frühgeburt auf dem schmutzigen Boden der Hütte, in der sie lebt: eine getrennte Nabelschnur, massiver Blutverlust und eine verrückte Fahrt ins Krankenhaus. Dort wurde die junge Frau auf wundersame Weise gerettet. Besorgt, in eine illegale Abtreibung verwickelt zu sein, rufen die Ärzte die Polizei – Abtreibung ist in El Salvador ein Verbrechen, das auf einer Stufe steht mit Totschlag. Der Gerichtsprozess beginnt. Imelda wird von ihrem Stiefvater bedroht, während sie im Krankenhaus liegt, und verbringt schliesslich 18 Monate in Untersuchungshaft in einem der schlimmsten Gefängnisse des Landes. Aber der Alptraum ist vorbei: Mitte Dezember wurde sie dank der Proteste lokaler NGOs (einschliesslich Consciente) und der UN-Menschenrechtskommission freigesprochen. Ihr verzerrtes Gesicht, das im lokalen Fernsehen, aber auch in Artikeln internationaler Zeitungen zu sehen war, sowie ihre ganze Geschichte stellen die grösste Lektion in Feminismus dar, die ich je erhalten habe.
Kurz gesagt: Die Schönheit der Freiwilligenarbeit besteht in den vielen Erinnerungen, die man mitnimmt. Täglich wächst ihre Zahl, und als ich im Flugzeug sass, spürte ich zum ersten Mal das Gewicht der Ereignisse und Erfahrungen, die ich nicht leicht würde verarbeiten können. Ich war bewegt und meine Seele war besonders fiebrig und sensibel, so dass jede kleine emotionale Schwingung zu einem aufwühlenden Gefühl zu werden drohte, das durch meinen ganzen Körper hallte und bis in die Knochen drang.
Und es spielt keine Rolle, dass ich die Landessprache nicht perfekt sprach, oder dass die meisten Menschen mit der italienischen Kultur bloss Pizza, die Mafia und Juventus Turin assoziierten. Denn es gibt noch etwas anderes, und in diesen fünf Monaten habe ich es erfahren: etwas gemeinsames, das nicht erklärbar ist, sondern nur „erfühlt“ werden kann.
Seit Tagen summe ich mit Freunden den Refrain eines Liedes, dessen Text lautet: „Ich bin nicht von hier, aber du bist auch nicht von hier – von nirgendwo und doch von überall ein bisschen.“ Ich habe brüderliche Beziehungen zu einer unendlichen Anzahl von verschiedenen Menschen geknüpft; ich habe Ideen und Gedanken über die Welt geteilt; ich habe bei chilenischem Wein über Politik diskutiert; ich habe einem neugierigen Gemüsehändler die Geschichte von Romulus und Remus erzählt; ich habe einen ehemaligen CIA-Agenten getroffen, der mir von den Gräueltaten erzählte, die während des Krieges vom Militär begangen wurden; ich hörte intime Geheimnisse, so intim, dass sie aufrichtige Tränen hervorriefen; ich las zum ersten Mal Bibelverse mit einer grossartigen Familie von Evangelisten; ich hörte den asthmatischen Klang einer Gitarre ohne Saiten, im Kreis sitzend, in religiöser Stille und unter einem Himmel voller Sterne; ich nahm Lektionen bei einem weisen Kakawira, der in einem kleinen indigenen Dorf im Norden von Morazán wohnte; ich ass am gleichen Tisch und teilte das gute Essen; ich schlief im selben Bett oder derselben Hängematte; ich sah beeindruckende Sonnenaufgänge und bewegende Sonnenuntergänge; ich las den Schmerz in den Falten der Gesichter der Bewohnerinnen und Bewohner von El Mozote, als sie des Bürgerkriegsmassakers gedachten, das vor 27 Jahren die gesamte Bevölkerung des kleinen Dorfes vernichtete und dessen Opferzahl, die meisten davon Kinder, noch immer unbekannt ist; ich lief um Mitternacht des 31. Dezembers im Zickzack um die Gläser, die die Leute zur Feier des neuen Jahres auf die Strasse stellten, und bewunderte die Häuser im Zentrum von Gotera, die durch das farbenprächtige Feuerwerk beleuchtet wurden; ich reiste 18 Stunden lang im Auto, um ein Paket aus Italien zu empfangen, das ich zwar aus bürokratischen Gründen nie erhalten habe, das es mir jedoch erlaubte, eine neue Freundschaft zu schliessen; ich feierte meinen Geburtstag am Strand von Los Cobanos, baute Sandburgen und hörte dem Meer zu, dessen Gezeiten nachts wogen; ich besuchte eine Höhle mit Wandmalereien, die mehr als 10’000 Jahre alt war und „die Sixtinische Kapelle von Kakawira“ genannt wurde.
Ich tat dies und viele andere Dinge – ein ganzes Buch könnte ich damit füllen. Wohl war ich traurig, als ich nach Hause reiste – das gebe ich zu – aber stets wird die Freude überwiegen, dass ich das Glück hatte, solche Erfahrungen zu machen, die an mir haften geblieben sind – doch nicht wie Kleidung, die man einfach wechseln kann. El Salvador klebt an meiner Haut, mit unauslöschlicher Tinte, wie ein Tattoo.
Abschliessend noch drei Dinge: Mein Lehrer von damals konnte seinen Traum nicht verwirklichen – der Tod überraschte ihn ein Jahr nach seiner lang erwarteten Pensionierung. Doch ich kann es bezeugen, weil ich es am eigenen Leibe erfahren habe: Er hatte Recht, was die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Erdteils betrifft.
Und nein: Die Bougainvillea wieder zu riechen und ihr wildes Wachstum zu sehen, hat mich zwar ein wenig erleichtert, aber es hat die Distanz zwischen meinem jetzigen und meinem früheren Ich nicht aufgehoben. Ich spüre in mir drin die Jahre, die vergangen sind. Es war nur eine süsse Illusion.
Und schliesslich müsste ich noch die Frage beantworten, ob nun El Salvador nur Gewalt und Kriminalität sei – die Antwort kannst du dir denken.
Autor: Sebastiano Santoro (aus Italien), SCI Freiwilliger bei Consciente El Salvador
SCI Freiwilligen-Einsätze bei Consciente
Die Zusammenarbeit mit dem Service Civil International (SCI Schweiz) ermöglicht es uns, Langzeitfreiwillige aus der ganzen Welt in El Salvador zu empfangen. Unsere internationalen Freiwilligen arbeiten bei bestehenden Projekten mit oder setzen eigene Ideen um und unterstützen so das lokale Team. Hast du Lust, wie Sebastiano als Freiwillige nach El Salvador zu gehen? Mehr Informationen findest du hier:
Eine Reise ins „Salvadorianische Bewusstsein“ – Bericht von Joëlle, Freiwillige aus Belgien
/in Aktiv werden, Freiwilligenarbeitsprogramm, SCI Freiwilligeneinsatz/von Livia JakobAutorin: Joëlle Mignon (aus Belgien), SCI Freiwillige bei Consciente El Salvador
Übersetzt von: Christoph Kühnhanss
Ich bin nun seit über einem Monat bei Consciente, und auch wenn dies sehr kurz erscheinen mag – ein Monat kann es ganz schön in sich haben. In dieser Zeit habe ich so viele Menschen getroffen und so viele neue Erfahrungen gemacht, dass mein Bewusstsein bereits begonnen hat, sich tiefgreifend zu verändern.
Seit meiner Ankunft in El Salvador befinden sich alle meine Sinne in einem ständigen Wachzustand. Alles ist anders, alles will neu entdeckt werden. Schon am ersten Tag fühlte ich mich wie zuhause, denn überall begrüssten mich ein Lächeln und warme Worte des Willkommens. Ich spürte vom ersten Augenblick an: „Ich werde diese Leute mögen!“. Die zweite Einsicht kam zwar nicht sofort, sondern erst nach der ersten Akklimatisierungsphase, dafür umso deutlicher: Ich komme aus einem sehr privilegierten Land.
Belgien hat ein kühles Klima und grüne, aber einheitliche Vegetation. Es ist ein Land mit sozialer Absicherung, hohen Beschäftigungsraten und kaum sichtbaren sozialen Ungleichheiten, vor denen man leicht die Augen verschliessen kann. In Belgien kämpfen wir allenfalls gegen die Auswüchse des kapitalistischen Systems oder für die Gleichstellung von Frauen und Männern, setzen uns ein für bessere soziale Institutionen, die alle Bevölkerungsschichten gleichermassen berücksichtigen, oder protestieren gegen Steuerhinterziehung und die wachsende Macht multinationaler Unternehmen. Dabei merken wir oftmals überhaupt nicht, was für ein Privileg es ist, sich überhaupt für oder gegen etwas engagieren zu können. Denn wir wissen nicht, was es bedeutet, in einem Land wie El Salvador zu leben, wo so viel Korruption und Vetternwirtschaft herrscht und wo es kaum Möglichkeiten gibt, für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Wir wissen nicht, was es bedeutet, mit so himmelschreienden Ungleichheiten konfrontiert zu sein, dass die Zukunft der ärmsten Menschen in den Händen weniger Reicher liegt, deren einziges Interesse darin besteht, Geld zu machen. Oder wie es ist, in einem Land zu leben, in dem der Machismo so stark ist, dass es für Frauen schon gefährlich ist, sich gegen männliche Übergriffe zur Wehr zu setzen; in einem Land, das so konservativ ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung Abtreibung in jedem Fall verurteilt. Und vor allem haben wir keine Ahnung, was es bedeutet, in einem Land zu leben, das von kriminellen Banden beherrscht wird, so dass selbst die Regierung nicht weiss, wie sie die alltägliche Gewalt stoppen kann.
All das lässt einen sofort wieder umkehren wollen – aber bei mir ist das Gegenteil passiert: Je mehr ich mir der Situation in diesem Land bewusst wurde, desto mehr reizte es mich, es näher kennenzulernen und zu verstehen, wie es so weit gekommen ist.
Die Geschichte El Salvadors ist dunkel, aber dieser Dunkelheit steht die Strahlkraft seiner Menschen gegenüber: Hier begrüßt dich jede und jeder mit einem wohlwollenden Lächeln, und schon nach wenigen Gesprächen mit den Menschen, die ich bei Consciente getroffen habe, wurde mir klar, dass der Blick aller in die Zukunft gerichtet ist. Ich habe noch nie so viele Menschen getroffen, die helfen wollen, ihr Land zu verändern. Die Jugendlichen sind unerwartet aktiv und engagiert, und das inspiriert mich derart, dass ich nur noch eines will: mit ihnen zusammenarbeiten. Seit ich hier angekommen bin, begegnete ich vielen freundlichen Menschen mit toller Ausstrahlung, die mich ihr Land entdecken lassen und sehr gerne mit einer Belgierin teilen wollen. Letztendlich besteht die grösste Bereicherung darin, mit anderen Menschen zu teilen und sich auszutauschen, denn dabei lernen wir alle von einander.
Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich Consciente entdecken durfte. Es beweist einmal mehr, dass die Einheimischen sehr wohl dazu in der Lage sind, große Dinge zu tun, um die eigene Wirklichkeit zu verändern. Bei Consciente liegt der Fokus auf der „educación popular“: Lernen durch Handeln und unter Berücksichtigung der Voraussetzungen, die jede und jeder Einzelne mitbringt. Hier geht es nicht darum, auf traditionelle Weise zu unterrichten, indem eine Lehrperson einer Klasse Vorträge hält und Anweisungen gibt. Vielmehr tauschen sich die Teilnehmenden untereinander aus, teilen ihre Erfahrungen, und alle nehmen etwas aus den Workshops mit oder gehen sogar als veränderte Menschen daraus hervor.
Was mir an Consciente am besten gefällt, ist, dass die Organisation einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt: Sie bietet jungen Menschen reelle Bildungschancen, die ansonsten keine Möglichkeit haben zu studieren; sie arbeitet daran, das traditionelle Bildungssystem mit innovativen Projekten weiterzuentwickeln; sie bietet jungen Menschen die Möglichkeit, sich selbst an der Vermittlung von Wissen zu beteiligen; sie arbeitet aber auch mit vielen Organisationen wie Frauenverbänden oder Veteranenvereinen zusammen. Die „educación popular“ wird hier als etwas Umfassendes angesehen, und das scheint mir der einzige richtige Weg zu sein, der zu nachhaltigen Lösungen führt. Deshalb fühle ich mich glücklich, mit meiner Arbeit einen kleinen Beitrag zum Gelingen dieser Projekte zu leisten – wenn auch nur für kurze Zeit.
Mein tägliches Leben bei Consciente besteht darin, Englischunterricht zu geben – meine Schülerinnen und Schüler sind die motiviertesten, die ich je getroffen habe! – und im Rahmen des Projektes CAL-IMPACT (computer-gestützter Mathematikunterricht für Kinder) Grundschulen zu besuchen. Schliesslich arbeite ich bei der Entwicklung von Workshops zur Gesundheitsprävention mit. Die Aufgaben sind sehr vielfältig, was mir die Möglichkeit gibt, sowohl das salvadorianische Bildungs- wie auch das Gesundheitssystem kennenzulernen.
El Salvador begeistert mich wegen seiner Geschichte, seiner Kultur und seiner Menschen und ich freue mich schon darauf, in den nächsten Monaten noch viel Neues zu entdecken. Am meisten gefällt mir die Vielfältigkeit meines Einsatzes: Man kann nie wissen, was am folgenden Tag passiert, und das gibt mir enorm viel Motivation! Ich bin schon gespannt, was als Nächstes passiert…
Autorin: Joëlle Mignon (aus Belgien), SCI Freiwillige bei Consciente El Salvador
SCI Freiwilligen-Einsätze bei Consciente
Die Zusammenarbeit mit dem Service Civil International (SCI Schweiz) ermöglicht es uns, Langzeitfreiwillige aus der ganzen Welt in El Salvador zu empfangen. Unsere internationalen Freiwilligen arbeiten bei bestehenden Projekten mit oder setzen eigene Ideen um und unterstützen so das lokale Team. Hast du Lust, wie Joëlle als Freiwillige nach El Salvador zu gehen? Mehr Informationen findest du hier: